Lentos-Museum: Die Mode und ihr Schatten

(c) Courtesy The Estate of Corinne Day und Gimpel Fils
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Überfluss, Vergänglichkeit und Tod: Diesen Themen widmet das Lentos-Museum in Linz nun eine Modeausstellung.

Unheimliche Gestalten mit übergroßen, roten Mündern blicken den Betrachter aus blutleeren Gesichtern an und stemmen herausfordernd die Hände in die Hüften. Eine buchstäbliche Einladung zum Tanz am Abgrund war die Präsentation der Kollektion „The Horn Of Plenty“ von Alexander McQueen – einer der letzten, die der Designer selbst schuf. Als er 2010 starb, hatte er in seinem Modeschaffen mehr als nur einmal mit dem Tod und dem Abgründigen kokettiert. In seinen Shows krabbelten Motten auf Models, Materialien wie menschliches Haar oder schwarze Federn waren Teil der anarchischen, oft düster-melancholischen Kollektionen des britischen Modemachers.

„McQueen hat sich von allen namhaften Designern sicherlich am stärksten mit dem Thema Tod auseinandergesetzt. Er hat auch Totenkopf und Skelett als Symbole für Vergänglichkeit auf den Laufsteg gebracht,“ sagt Ursula Guttmann. Sie hat die Ausstellung „Love & Loss – Mode und Vergänglichkeit“ für das Linzer Lentos-Museum kuratiert, wo diese ab sofort zu sehen ist. Die Begegnung der Mode mit dem Tod ist ein zentraler Aspekt der Ausstellung. Zu sehen sind unter anderem die Fotoarbeit „Totentanz mit Mädchen“ der österreichischen Künstlerin Birgit Jürgenssen, Kora Kellers Kollektion „Being Dead“, die für Tote entworfen wurde, sowie das echte Tränen weinende viktorianische Trauerkleid „Lace Sensor Dress“ von Kobakant aus Berlin. Gewohnt verstörend-humorvoll ist der Beitrag von Walter Van Beirendonck – er hat für sich selbst einen Sarg entworfen.

(c) Alexander McQueen

Eine Zeitfrage. Die Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen Tod ist aber nur ein Aspekt der breit gefächerten Schau. „Art of Dying“ betitelte etwa die Modetheoretikerin Barbara Vinken in einem Aufsatz den Einzug des Themas „Zeit“ in die Modewelt Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre. Motive wie Sterblichkeit, Endlichkeit und Vergänglichkeit waren bis zu diesem Zeitpunkt der Kunst vorbehalten gewesen.
„Wichtigste Pionierin war hier die japanische Designerin Rei Kawakubo mit Comme des Garçons, die aus der japanischen Tradition, wo Zeichen des Vergänglichen wertgeschätzt werden, ein ganz anderes Selbstverständnis für Körperideale mitbrachte“, sagt Guttmann. Was folgte, war eine Revolution der Mode in unterschiedlichen Bereichen. Hatte vorher nur das Neue, Reine, Makellose einen Platz in der Mode, wurde nun plötzlich auch das Abgetragene, Schmutzige, Alte und Abgründige interessant. Guttmann: „Im Mainstream kamen in den 1980ern die Jeans auf, die aussahen, als wären sie schon hundertmal gewaschen worden. Das wäre früher undenkbar gewesen und hat sich erstaunlicherweise bis heute gehalten.“

Auch in der Modefotografie konnte sich parallel zu dieser Entwicklung eine neue Ästhetik durchsetzen. Das sei, so Guttmann, dem Umstand zu verdanken, dass Künstler wie Nick Knight Ende der 1980er-Jahre Bildredakteure bei wichtigen Modemagazinen wurden. Es gelang dem Lentos etwa, die legendäre Fotostrecke „The Third Summer of Love“ mit einer blutjungen Kate Moss für „The Face“ im Original von 1990 in die Ausstellung zu bringen. Fotografin Corinne Day wurde damals beschuldigt, mit dieser Fotostrecke den Heroin Chic begründet zu haben.

Der eigene künstlerische Zugang Guttmanns war wahrscheinlich ausschlaggebend für die Auswahl einiger Arbeiten, welche die Körperlichkeit von Mensch und Tier in den Mittelpunkt stellen. Die Künstlerin Luise Gypser hat etwa Mäntel geschneidert, deren Krägen sich wie bei einer Echse aufstallen lassen und mit Gedärmen bedruckt sind. Dicke, schwarze Schlangen wanden sich als „Snake Dress“ auch schon um den Körper der Sängerin Björk (Design: Iris van Herpen) und werden ebenso in Linz zu sehen sein wie ein Knochenkleid von Käthe Wenzel oder mit menschlichen Zähnen besohlte Schuhe (Fantich & Young). „Für mich hat die Auseinandersetzung mit dem Körper und das Darstellen des Körperinneren auch etwas damit zu tun, sich mit der eigenen Vergänglichkeit auseinanderzusetzen“, meint Guttmann.

(c) Estate Birgit Jürgenssen/Courtesy Galerie Hubert Winter



Die dunkle Seite des Business. Die Veränderlichkeit von Material im Vergehen der Zeit ist ein weiterer Zugang zur Vergänglichkeit, den die Ausstellung thematisiert. Guttmann nennt hier Martin Margiela, der als Erster für seine Arbeiten alte Kleidungsstücke verwendet hat und sie zu Vintage-Objekten verarbeitete. Auf den neu entstandenen Stücken sind Fundort und -datum der alten Kleider verzeichnet. „Margiela ging es um Dekonstruktion, um das Sichtbarmachen, woher das Material für die Kleidungsstücke kommt. Dieses Motiv muss man unterscheiden vom heutigen Zugang zu Upcycling, das eher von ökologischen Gedanken angetrieben wird“, sagt Guttmann. Von Margiela werden ein aus drei Vintage-Brautkleidern bestehendes Abendkleid sowie ein fehlerhafter Sweater zu sehen sein. Eng verbunden mit der Frage, wo die Kleidung herkommt, ist die, wohin sie geht: „Wie oft kann man ein Kleidungsstück waschen, bevor es verschwindet?“ Um dieser Frage nachzuspüren, hat die Künstlerin Katja Then über Jahre die Flusen aus ihrem Flusensieb gesammelt und sie zu Kleidungsstücken gegossen. Verschwinden kann man auch im Mantel „Jammer Coat“ des Architekturstudios Himmelblau, zumindest vor der Ortung von Satelliten – der Mantel besteht nämlich aus einem strahlenundurchlässigen Material.

Ewige Vergänglichkeit: Sie beschreibt das Wesen der Mode vielleicht viel treffender als das viel zitierte „ewig Neue“. Kaum wird ein Trend präsentiert, ist er schon wieder vorüber, damit verbunden ist ein Bedürfnis nach schnell erneuer- und wegwerfbarer Mode. „Dieser Überfluss wird auf dem Rücken von Menschen ausgetragen, die ausgebeutet werden“, erklärt Guttmann, warum ein Teil der Ausstellung den Schattenseiten des Modebusiness gewidmet ist. Unter anderem das „World Press Foto 2014 – Collapse of Rana Plaza“ von Rahul Talukder oder eine Fotoserie zum Thema Magersucht werden gezeigt. Gerade als Guttmann damit begonnen hatte, für die Ausstellung Objekte zum Thema Sterblichkeit zu suchen, seien beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh über 1000 Menschen gestorben, das Thema erhielt für Guttmann eine neue Dimension. „Auf einmal war in jedem T-Shirt aus dem Geschäft der reale Tod drinnen.“

Tipp

„Love & Loss - Mode und Vergänglichkeit“. Ab sofort und noch bis 7. Juni zu sehen. Details und Informationen über das Begleitprogramm auf www.lentos.at. Am 10. Mai wird etwa die Modetheoretikerin Barbara Vinken mit Lentos-Direktorin Stella Rollig sprechen.

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