Mutter aller Monologe: „Am Ziel“

Am Ziel
Am Ziel(c) Sepp Gallauer
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Theater in der Josefstadt. Andrea Jonasson brilliert in Cesare Lievis Inszenierung des grässlichen Klassikers von Thomas Bernhard. Therese Lohner spielt die Tochter fantastisch.

Man muss nur auf das Wort „Gusswerk“ warten, um zu wissen, welche Qualität die Interpretation des Zweiakters „Am Ziel“ hat, mit dem der Dramatiker Thomas Bernhard 1981 unter der Regie von Claus Peymann sein Comeback bei den Salzburger Festspielen feierte. Wenn „Gusswerk“ falsch betont wird, fällt das Stück in sich zusammen. Ohne „Gusswerk“ kein Erfolg. Wie viele Schauspielerinnen sind am „Gusswerk“ gescheitert, Beweise dafür, in welch grässlichem Zustand sich die meisten Provinztheater in diesem stumpfsinnigen Operettenösterreich befinden, insbesondere in Wien, dieser kunstfeindlichen Stadt, die alle ihre Dichter letztendlich ermordet!

Am Donnerstag war im Theater in der Josefstadt Premiere: Andrea Jonasson spielt die Mutter, die in knapp drei Stunden gefühlte 99 Prozent des Textes bestreitet, die Mutter aller Monologe in einem der bösesten Stücke Bernhards. Ein lieber Seniorenklub ist „Heldenplatz“ im Vergleich zu „Am Ziel“. Wer „Am Ziel“ schafft, der braucht keinen „Heldenplatz“ mehr. „Am Ziel“, diese schlimmste aller Kindesmisshandlungen, ist final. Mutter und Tochter, nur am Rand ein dramatischer Schriftsteller und ein Mädchen. Mehr nicht. Erst die Stadt, dann das kalte Haus am Meer. Danach kann man jede Notbeleuchtung abdrehen. Bernhards Welt bleibt finster.

Eine potenzielle Mörderin

Wie also macht das die Jonasson? Steif sitzt sie im Mantel in einem Ohrensessel, er ist wegen der bevorstehenden Abreise bereits mit einem Tuch verhüllt. Ein großer Rohrkoffer steht vor ihr, in den nächsten eineinhalb Stunden wird er von der Tochter (Therese Lohner) mit Kleidern, Tüchern, Mänteln und Schuhen befüllt werden, aus einem gewaltigen weißen Schrank hinten links und einem kleineren rechts. Wie hoch der Raum ist, zeigt die Leiter, auf der Lohner zum Ausräumen hochklettert. Maurizio Balò hat diesen übertriebenen Salon wie als Karikatur einer großbürgerlichen Wohnung gestaltet.

Erst aber räsoniert die Mutter. Über eine zu hohe Rechnung, über die Einladung an einen Dramatiker, mit ihr und der Tochter zu ihrem Haus am Meer zu reisen. Schon bereut sie das. Dieses Monster scheint ihren längst verstorbenen Mann noch immer zu hassen, auch ihren ebenfalls verstorbenen Sohn, den sie, weil er angeblich missgebildet war, am liebsten umgebracht hätte. Die Einzige außer ihr Überlebende aber wird von ihr gequält. Die Mutter verlangt Tee. Beflissen erscheint eine junge Frau in grauem Kleid mit Schürze, schenkt ein. Sofort wird sie zurechtgewiesen. Es ist nicht das Dienstmädchen, wie man meinen könnte, sondern der Nachwuchs, der in den nächsten drei Stunden beinahe willenlos, mit schwächsten Zeichen des Widerstands diese Gemeinheiten der Mutter über sich ergehen lassen muss.

Der ewige Monolog einer bösen alten Frau – da besteht doch die Gefahr, dass die Zuseher bald abschalten, so wie gescholtene Kinder oder gequälte Ehepartner? Das geht hier aber nur selten. Cesare Lievi hat zwar an sich zurückhaltend, aber sehr musikalisch inszeniert, und sein Star behandelt den Text virtuos. Wenn Andrea Jonasson „Gusswerk“ sagt, dann schwingt darin all die Erotik des Geldes und der Macht mit, die in dieser Rolle reichlich vorhanden ist. Für kurze Zeit ist all das Niedrige und Gemeine vergessen; das „Gusswerk“ zumindest, das sich dieser Drachen durch ihren Mann erheiratet hatte, gab ihrem Leben Sinn. Man kann dieses Wort sogar als Aphrodisiakum gebrauchen.

Das Meer rauscht, die Dame friert

Jonasson spielt eine furchtbare, Furcht einflößende Frau mit Pathos, Grandezza und Komik. Sie lässt nichts aus, verhöhnt neben der angeblich hässlichen Tochter en passant auch das Publikum. Lohner ist in ihrer meist stummen Unterwerfung kongenial. Konzentriert serviert sie Tee und Cognac, räumt systematisch die Schränke leer und die Koffer voll. Wenn die Rede auf den Dramatiker kommt, der sie zum Haus am Meer begleiten soll, glaubt man beinahe, so etwas wie ein Gefühl der Erwartung in ihrem Gesicht zu erkennen, aber die Mimik ist so sparsam, dass dieser Eindruck auch Einbildung sein könnte. So schön wird eine Hässliche selten gespielt. Lohner ist fantastisch im Minimalismus. Die Szenen sind hoch konzentriert, vor der Pause. Es erscheint schließlich der Dichter (Christian Nickel), und nun zeigt Jonasson Gemeinheit im kleinsten Detail. Die ganze Zeit hat die Junge gepackt, während die Alte getrunken und monologisiert hat. Nun geht die Tochter ab, um den jungen Mann hereinzulassen, während ihre Mutter zum Rohrkoffer geht, einen Mantel herausnimmt und neu faltet. Es sieht für den Besucher so aus, als ob diese Frau eifrig gearbeitet hätte. Dabei war sie doch nur herrisch.

Nach der Pause kommt oberflächlich Bewegung in die Szenen, aber sie zerfallen auch etwas. Drei Frauen (auch Martina Ebm als Dienstmädchen) buhlen um den Dichter. Themenwechsel: Es geht jetzt angeblich sogar um Kunst, Natur, das Leben. Die Dame friert, das Meer rauscht, der Dichter lässt sich bewundern, das Mädchen beobachtet, die Tochter packt aus. Die intensive Atmosphäre von zuvor gibt es nicht mehr. Auch bei Jonasson lässt bis aufs Furioso im Finale ein wenig die Konzentration nach. Bewundernswert ist sie allemal, und mehr noch, wenn man weiß, dass sie ein Stützkorsett mit Halskrause trägt, weil sie einen schweren Sturz hatte. Chapeau! Eine tolle Leistung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2015)

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