Parlamentswahl in Israel: Für Netanjahu könnte es eng werden

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Israels Premier Benjamin Netanjahu warb bis zuletzt in den Kreisen rechtsnationaler Wähler und versprach: „Unter meiner Regierung wird es keinen Palästinenserstaat geben.“ Die Linke wiederum wittert gute Chancen.

Jerusalem. Im Endspurt suchte Israels Ministerpräsident, Benjamin Netanjahu, seine Rettung im rechtsnationalen Lager: Noch habe das oppositionelle Zionistische Lager mehrere Mandate Vorsprung, raunte der Likud-Chef keine 24 Stunden vor Öffnung der Wahllokale in der Ostjerusalemer Siedlung Har Homa und fügte kämpferisch hinzu: „Diese Kluft müssen wir schließen.“

Netanjahu selbst hatte den Baustart zu Har Homa während seiner ersten Regierungszeit vor gut zehn Jahren genehmigt. „Unter meiner Regierung“, so versprach er am Montag zudem in der Siedlung, „wird es keinen Palästinenserstaat geben“. Das ist eine klare Abkehr von seiner offiziellen Linie: In den vergangenen Jahren hat sich Netanjahu für eine Zweistaatenlösung ausgesprochen, um so die Palästinenserfrage beizulegen. Praktisch freilich unterlief er diesen Kurs immer wieder selbst.

„Dann helfe uns Gott“

Bis zum Schluss blieben noch viele Wähler unentschlossen. „Vielleicht werde ich Kachlon meine Stimme geben“, meint der Fernsehtechniker Rami Misrachi aus der israelischen Kleinstadt Beit Schemesch. „Oder vielleicht doch Netanjahu, ich entscheide mich immer erst in der letzten Minute.“

Kulanu, so heißt die Partei von Mosche Kachlon – übersetzt bedeutet das „Wir alle“. Auf den Werbeplakaten mit zionistisch-blau-weißem Hintergrund lächelt der aparte Mittfünfziger selbstbewusst über den Buchstaben „Kulanu Kachlon“, „Wir alle sind Kachlon“. Der frühere Kommunikationsminister verspricht, durch mehr Wettbewerb die Preise zu drücken. Wie bei der vorigen Parlamentswahl will indes Hadar Nemet, ein Passant, bei der heutigen Parlamentswahl den national-religiösen Naftali Bennett vom Jüdischen Haus wählen. Auch Nemet hofft auf niedrigere Lebenshaltungskosten. „Wenn Bennett nicht noch einmal Wirtschaftsminister wird, dann helfe uns Gott“, meint Nemet, den die nationalistische Agenda vom Jüdischen Haus nicht interessiert.

Der Sieger dürfte schwach sein

Der Schein, dass die Parlamentswahl Israels mündige Bürger vor die Wahl zwischen dem konservativen Netanjahu und seinem wichtigsten Herausforderer, dem Sozialdemokraten Yitzhak Herzog, stellt, trügt. Weit über die Hälfte wählen weder den einen noch den anderen. Mosche Kachlon gilt schon jetzt als Königsmacher, aber auch Jair Lapid von der Zukunftspartei hat ein Wort mitzureden, wenn Herzog oder Netanjahu mit der Bildung einer Regierungskoalition beauftragt wird. Egal, wer von den beiden das Rennen für sich entscheidet, sicher ist, dass es einen schwachen Sieger geben wird.

Netanjahu warnte bei der Kundgebung des rechten Lagers am Sonntagabend vor der „drohenden Gefahr einer Linksregierung“. Zum ersten Mal seit 15 Jahren könnte Israel wieder von einer Koalition der linken Mitte regiert werden, doch selbst unter den traditionell sozialdemokratischen Wählern will darüber kaum Euphorie aufkommen.

Herzog hält viel von sich

Etwas blass wirkt der Spitzenkandidat vom Wahlbündnis Zionistisches Lager, auf das sich Herzog mit Ex-Justizministerin Tzipi Livni von der Ha-Tnuah einigte. Kein Vergleich zu den früheren Chefs der Arbeitspartei Ehud Barak oder gar Yitzhak Rabin, dem 1994 ermordeten Regierungschef und Friedensnobelpreisträger. Herzog selbst hält viel von sich, schließlich habe er schon überrascht, als er Chef der Arbeitspartei wurde, und nun, dass er Netanjahu einen so ernsten Zweikampf bietet. Er werde sich auch als Regierungschef beweisen.

Herzog profiliert sich als die einzige Alternative, und es scheint ihm nichts auszumachen, dass viele Stimmen für das Zionistische Lager letztendlich Anti-Bibi-Voten sind, also von Wählern kommen, die auf keinen Fall eine weitere Regierungsperiode Netanjahus wollen. Das Bündnis mit Tzipi Livni hat sich bewiesen. Die Arbeitspartei allein stünde heute nicht so gut in den Umfragen wie das Zionistische Lager, trotzdem gerät Livni jüngst unter verstärkten Druck, auf die vereinbarte Rotation im Regierungsamt, sollte das Zionistische Lager gewinnen, zu verzichten, was sie auf keinen Fall will.

Zweistaatenlösung als Rettung

Noch vor drei Monaten schien Livni vor ihrem politischen Aus zu stehen. Das Zionistische Lager ist die vierte Partei für die frühere Likud-Politikerin, die zusammen mit Ex-Regierungschef Ariel Scharon zur Kadima wechselte und nach verlorener parteiinterner Wahl schließlich ihre eigene Partei Ha-Tnuah gründete. Livni hat sich langsam, aber stetig nach links bewegt, weg von ihrem konservativen Elternhaus und hin zur eifrigen Verfechterin territorialer Zugeständnisse an die Palästinenser.

Die Zweistaatenlösung, so sagt sie, sei die einzige Möglichkeit, um den jüdisch-demokratischen Staat Israel zu retten. Herzog zieht am gleichen Strang. Auch er hat sich nach links bewegt. Noch vor zehn Jahren trieb er als Bauminister in der Regierung Scharons den Wohnungsbau in Ostjerusalem voran. Heute lässt er sich ungern daran erinnern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2015)

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