Todesangst statt Sportsgeist: OGH gewährt erhöhtes Schmerzengeld

(c) Clemens Fabry
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Eine einst begeisterte Skifahrerin wurde schwer verletzt. Nun muss sie ständig um ihr Leben fürchten. Das rechtfertige einen höheren Schadenersatz, sagt das Höchstgericht.

Wien. Es mag in Geld nie aufzuwiegen sein, und doch müssen Gerichte stets im Einzelfall entscheiden, wie viel das Leid eines Menschen wert ist. In einem aktuellen Fall galt es für den Obersten Gerichtshof (OGH) zu klären, mit wie viel Schmerzengeld der stetige Gedanke an den Tod abzugelten ist. Die Klägerin war eine Frau, die zuvor ihr Leben in vollen Zügen genossen hatte.

Doch dann geschah ein fataler Unfall auf dem Parkplatz eines steirischen Weinguts. Ein Mann hatte sein Fahrzeug auf einer Auffahrt abgestellt, befand es aber nicht für nötig, einen Gang einzulegen, geschweige denn, die Handbremse zu ziehen. Das Auto rollte nach hinten und rammte eine Reisegruppe, die vor einem Bus stand. Erst touchierte das Fahrzeug einen Mann, dann die Ehefrau. Sie wurde besonders schlimm erwischt: Der Wagen schliff sie mit und keilte sie ein. Eine zufällig anwesende Notärztin sagte zum Mann, dass er sich von seiner Ehegattin verabschieden solle. Der Mann sollte später neben einem Ersatz für seine Verletzungen noch weitere 5000 Euro an Trauerschmerzengeld erhalten (obwohl niemand starb), weil er das Leiden seiner Frau miterleben musste und muss.

Im Mittelpunkt des Verfahrens stand aber die Frau, die dramatische Unfallfolgen ertragen musste: Es bestand Lebensgefahr, und sie durchlitt Qualen (29 Tage starke, 27 Tage mittelstarke und 95 Tage leichte Schmerzen, wie es juristisch zu betrachten war). Der Frau, deren Bewegungsmöglichkeiten stark eingeschränkt sind, wurde ein Invaliditätsgrad von 90 Prozent zuerkannt. Ärzte erklärten ihr, dass sich ihr Zustand verschlechtern werde und sie in Zukunft wahrscheinlich gar nicht mehr werde gehen können. Auch eine neue Leber dürfte nötig werden.

Oberlandesgericht fand Betrag zu hoch

Früher war alles anders. Der Sport war für die Frau immer äußerst wichtig. Mit ihrem Ehemann war sie 40- bis 60-mal im Jahr skifahren. Man ging langlaufen, machte Skitouren, unternahm Bergtouren, fuhr Rad oder ging auf Reisen. All dies ist nicht mehr möglich. Die heuer 60-jährige Frau verbringt die meiste Zeit zu Hause, was sie belastet. Besonders beschäftigt sie aber die ständige Angst vor der Zukunft. Sie weiß um ihre verkürzte Lebensdauer, vor allem in der Nacht leidet sie unter Todesangst. Ihre Gedanken kreisen ständig um das Thema.

Das Grazer Landesgericht für Zivilrechtssachen hielt ein Schmerzengeld von 125.000 Euro für angemessen (die Frau hatte 130.000 Euro gefordert). Dabei berücksichtigte es ausdrücklich die bestehende Todesangst und die nahezu gänzlich entzogene Lebensfreude.

Der Betrag erschien dem Oberlandesgericht Graz zu hoch. Es erachtete 80.000 Euro für ausreichend. Zwar seien Lebensmut und Lebensqualität der Frau reduziert worden – aber ohne dass das „Ausmaß und die ,Qualität‘ von Beeinträchtigungen (häufige Lähmungen, hirnorganische Psychosyndrome)“ erreicht würden, die ein Schmerzengeld von 125.000 Euro rechtfertigen.

Der OGH widersprach. Der Fall sei nämlich wesentlich davon geprägt, dass die Frau „durch den Unfall aus einem besonders sportlich aktiven Leben gerissen wurde“. Ihr jetziger Zustand verunmögliche ihr jegliche sportlichen, aber auch „sexuell-partnerschaftliche Aktivitäten“. Dazu komme noch, dass die Frau in ständiger Unsicherheit wegen des Zustands ihrer Leber und deren voraussichtlich erforderlicher Transplantation leben müsse. „Diese Umstände, insbesondere die zeitlich unbegrenzte Todesangst, rechtfertigen eine erhebliche Erhöhung des vom Berufungsgericht ausgemessenen Schmerzengelds“, sagte der OGH (2 Ob 175/14w). Die Zukunfts- und Todesangst sei als „seelisch bedingter Folgeschaden der Verletzungshandlung“ ersatzfähig. Und diese Angst liege hier besonders stark vor. Daher sei der von der Frau gewünschte Schadenersatz von 130.000 Euro angemessen.

Die Bemessung von Schmerzengeld bei Todesangst ist selten Thema bei Gericht. Im Jahr 2009 galt es aber, die Frage zu klären, wie viel Geld für zehn Minuten Todesangst zusteht (OGH, 7 Ob 43/09p). Eine Patientin musste wegen einer allergischen Reaktion auf eine schmerzstillende Infusion zehn Minuten Todesangst ausstehen. Sie erhielt dafür 2000 Euro. Damals hielt das Gericht freilich fest, dass die Frau nicht in ihrer weiteren Lebensführung beeinträchtigt wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2015)

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