Bulgarien: Zwangsurlaub am Sonnenstrand

(c) EPA (Anton Chalakov)
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Da Touristiker den Ausfall russischer Touristen fürchten, plädieren sie für kuriose Maßnahmen: Ein Teil der Gehälter soll in Form von Gutscheinen ausgezahlt werden.

Burgas/Belgrad. Von den Folgen der hohen Politik bleiben auch die populären Fluchtburgen des Alltags nicht verschont. Ob an den Roulettetischen von Baden-Baden, in den Nobelskiressorts der Alpen, in den Einkaufszeilen von Dresden oder an der kroatischen Adria: Europaweit klagen Hoteliers und Gastronomen über das Ausbleiben der zahlungskräftigen Besucher aus dem sanktionsgeplagten Russland. Um die Ausnahmeausfälle zu kompensieren, plädieren Bulgariens Tourismusverbände für eine ungewöhnliche Nothilfe: Heimische Zwangsurlauber sollen am Schwarzmeergestade in diesem Jahr die befürchteten leeren Liegestühle füllen.

Der Fremdenverkehr ist eine der wichtigsten Einnahmequellen des Balkanlandes: Der Tourismussektor macht 13,6 Prozent des heimischen Sozialprodukts aus. Die Folgen der Ukraine-Krise drohen die Touristiker des Balkanstaats gleich doppelt zu treffen. Einerseits rechnen sie wegen der Rubel-Schwäche in diesem Jahr mit bis zu 50 Prozent weniger Touristen aus Russland – mit 700.000 Gästen pro Jahr bislang hinter Deutschland auf Rang fünf der Herkunftsstaaten der Bulgarien-Besucher. Andererseits müssen sie wegen des Kriegs im Donbass auch sinkende Besucherzahlen aus der Ukraine befürchten– mit knapp 400.000 Besuchern pro Jahr noch vor Polen und Großbritannien bisher immerhin der achtgrößte Touristenlieferant für die Billigbettenburgen am Sonnen- und Goldstrand.

Marktlage „sehr ernst“

Die Situation sei für seine Branche „sehr ernst“, so Bajko Bajkov vom Verband der bulgarischen Reiseveranstalter: „Die kommende Saison wird für uns sehr, sehr hart.“ Zu allem Übel machten sich die heimischen Sonnenanbeter in den vergangenen Jahren auch vermehrt nach Griechenland und in die Türkei auf.

Die bulgarische Tourismusbranche hat außerdem ein Strukturproblem. Sie setzte in den Jahren nach der Wende von 1989 vor allem auf Masse statt Klasse. Entlang der Schwarzmeerküste kam es in den Nullerjahren zu einem regelrechten Bauboom. Doch die Errichtung der entsprechenden Infrastruktur – asphaltierter Straßen, eines funktionierenden Abwassersystems, sicherer Versorgung mit Trinkwasser und Elektrizität – wurde dabei vernachlässigt. War das Land zunächst bei britischen Urlaubern sehr beliebt, die sich Zweitwohnungen an der Küste und in den Bergen zulegten, stießen viele Inselbewohner die Apartments nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008 wieder ab.

Doch Not macht auch auf dem Balkan erfinderisch. Um die leeren Betten der heimischen Herbergen zu füllen, schlagen Bulgariens Tourismusverbände nun vor, einen Teil der Löhne und Gehälter in Form von Hotelgutscheinen auszuzahlen: Die über das Jahr gesammelten Voucher im Wert von 60Lewa (30Euro) pro Monat sollen im Sommer die Auslastung der Hotelbunker an der Schwarzmeerküste sichern.

Nicht nur wegen der bescheidenen Durchschnittseinkommen von gerade einmal 415Euro im Monat hält sich die Begeisterung für den vorgeschlagenen Lohnabstrich für einen Zwangsurlaub im eigenen Land in Bulgariens Öffentlichkeit in Grenzen. Für eine Schnapsidee hält etwa die bulgarische Zeitung „Standart“ diesen Vorschlag. Nicht der Staat, sondern der Markt solle über die Wahl des Ferienziels bestimmen, meint das Blatt. Es gehe nicht an, auf Geheiß in Reih und Glied „bei Mutter Meer anzutanzen“: „Die Küstenorte, die sich noch nicht komplett zugebaut haben und Qualität zu einem guten Preis anbieten, werden auch in diesem Sommer gut ausgelastet sein“, schreibt die Sofioter Zeitung. „Die Einzigen, die von der Maßnahme profitieren würden, wären die schlechten Hotels, die sonst keine Gäste finden.“

AUF EINEN BLICK

Der Tourismussektor in Bulgarien ist wegen der Ukraine-Krise und der Rubel-Abwertung in Mitleidenschaft gezogen. Neben Deutschen, Briten und Skandinaviern war das Schwarzmeerland bisher bei russischen und ukrainischen Besuchern beliebt. Touristiker wollen nun Angestellte mit der Ausstellung von Vouchern als Gehaltsersatz zum Urlaub an den heimatlichen Stränden verpflichten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2015)

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