Wie stark ist der Islamische Staat?

IRAQ UNREST DISPLACED PEOPLE
IRAQ UNREST DISPLACED PEOPLE(c) APA/EPA/AHMED JALIL (AHMED JALIL)
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Die Terrormiliz hält ihr Kernland und besetzt westlich von Bagdad neue Gebiete.

Kairo. Die Verteidiger kämpften bis zur letzten Patrone. Fünf Tage lang flehten sie um Verstärkung. Als dem irakischen Bataillon die Munition ausging, war sein Schicksal besiegelt. Die Jihadisten des Islamischen Staats (IS) hatten leichtes Spiel, eroberten das Tharthar-Militärcamp 70 Kilometer nördlich der Provinzhauptstadt Ramadi und nahmen blutige Rache. Der Kommandeur, ein Dutzend Offiziere sowie 120 Soldaten wurden nach Berichten irakischer Medien am Wochenende umgebracht.

Seit zwei Wochen toben heftige Gefechte in der westirakischen Provinz Anbar, mehr als 100.000Menschen sind auf der Flucht. Ein Video zeigt IS-Kämpfer auf dem Staudamm des Tharthar-Sees, mit dem der Wasserfluss des Tigris durch Bagdad reguliert wird. Auf dem Funkturm der Schleusenverwaltung weht ihre schwarze Flagge.

Die Macht des IS-„Kalifats“ ist keineswegs gebrochen, auch wenn die Terrormiliz nach ihrer raschen Expansion im Sommer 2014 in Kobane und Tikrit erste schwere Niederlagen einstecken musste. Insgesamt hat sie ihr syrisch-irakisches Kernterritorium, auf dem acht bis zehn Millionen Menschen leben, trotz 3200 alliierter Luftangriffe weitgehend halten können. Und wenn es gelingt, die Extremisten zurückzuschlagen oder zu vertreiben, versinken die umkämpften Städte in Schutt und Asche.

Befreite Städte sind zerstört

Kobane ist so zerstört, dass jetzt ein Teil als Ruinenmuseum abgesteckt und an anderer Stelle neu aufgebaut werden soll. In Tikrit sind die Verwüstungen genauso gewaltig wie der politische Flurschaden durch die Racheaktionen der schiitischen Milizen an den sunnitischen Bewohnern. Die Zwei-Millionen-Stadt Mosul haben die IS-Extremisten jetzt fast ein Jahr lang fest im Griff. Mit ihrer Rückeroberung soll angeblich noch in diesem Jahr begonnen werden.

Doch die Hürden sind gewaltig. Iraks Armee verfügt nach Einschätzung von US-Militärexperten nur über 50.000 voll einsatzfähige Soldaten. Der Rest der 280.000-Mann-Streitkraft existiert nur auf dem Papier oder hat keine Gefechtsausbildung. Die kurdischen Peshmerga im Nordirak haben 120.000 Mann unter Waffen, verfügen aber nur über wenige alte Panzer und Geschütze. Sie können keine Großoffensive gegen den IS führen. Nach eigenen Angaben haben die Kurden seit Dezember 20.000 Quadratkilometer zurückerobert, ohne jedoch die Ninive-Ebene oder das gesamte Sinjar-Tal befreien zu können. Ihre Verluste sind hoch, 1200 Peshmerga starben, und 5900 wurden bisher verwundet.

Zudem ist die ideologische Anziehungskraft des IS ungebrochen: 6000 Europäer kämpfen nach Schätzungen aus Brüssel in den Reihen der Jihadisten. Aus den arabischen Staaten stammen 15.000Kämpfer, die größten Kontingente kommen aus Tunesien, Saudiarabien und Marokko. Mehr als ein Dutzend Terrorbrigaden von Libyen bis Nigeria haben dem selbst ernannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2015)

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