Industrie 4.0: Und morgen braucht es keine Menschen mehr

Industrie 4.0. Experten sind sich sicher, dass die nächste industrielle Revolution vor der Tür steht. Dann werden lernfähige, hoch flexible Computer zahlreiche Jobs auslöschen.

Jedes Jahr dasselbe: ein enges Zeitfenster, um die Ernte einzuholen, unklare Wetterinfos und: Wo stehen eigentlich die Mähdrescher?

Heute ist Claas, deutscher Hersteller landwirtschaftlicher Maschinen, eines der wenigen europäischen Beispiele für eine Industrie-4.0-Lösung. Gemeint ist die komplett vernetzte, hoch flexible, sich selbst adaptierende, vollautomatische Produktion. Computer steuern drahtlos den Claas-Maschinenpark. Der GPS-Satellit spielt die Wetterinfos ein. Daraus errechnet das System, welcher Mähdrescher wann welches Feld aberntet. Es schickt auch gleich einen Traktor mit passender Beladekapazität hin. Er fährt die Ernte ins Silo, das schon vorab elektronisch über deren Qualität informiert wurde.

Die Kette, nicht das Glied

Einstweilen beschäftigen sich nur die Großen mit Industrie 4.0. „Der Hersteller verzahnt seine gesamte Supply Chain mit der seiner Kunden und Lieferanten“, sagt Ansgar Schlautmann, Associate Director der Unternehmensberatung Arthur D. Little in Stuttgart: „Es geht nicht mehr um die Vernetzung einzelner Maschinen. Jetzt ist die gesamte Kette dran.“

Das ist alles andere als einfach. VW etwa bastelt schon lange an einem vollelektronischen Just-in-Time-Baukasten. Vom Käfer bis zum Passat steuert der Computer die Fertigung jedes einzelnen Modells samt Sonderwünschen auf einem einzigen Band – man stelle sich nur die Koordination der Zulieferer vor. Vielleicht ist diese gewaltige Dimension der Grund, warum das One-for-All-Band noch nicht so recht funktioniert.

Industrie 4.0 hat natürlich einen rein monetären Hintergrund. Produkte werden zunehmend austauschbar, lassen sich anderswo billiger fertigen und bringen immer niedrigere Margen. Was sich bei den Prozessen noch einsparen ließ, ist längst umgesetzt.

Also denkt man radikal: Was kann ich rund um die Hardware bieten, das sonst niemand hat? Dann steht nicht mehr das Produkt im Vordergrund (der Mähdrescher), sondern warum es für den Nutzer wichtig ist (um zeitgerecht die Ernte einzufahren).

Auch der Fahrzeughersteller definiert sich dann nicht mehr über Autos, sondern bietet „Mobilität“. Was das genau heißt, bestimmt der Anwender – und der Produzent muss plötzlich über Carsharing nachdenken.

Manche Hersteller gehen noch einen Schritt weiter. Wenn sie am Produkt nichts mehr verdienen (oft nur mehr fünf bis zehn Prozent der Wertschöpfungskette), sperren sie ihre Hallen gleich ganz zu. Cisco und Apple etwa lassen nur mehr fremdfertigen (bevorzugt im billigen Asien) und konzentrieren sich auf Vermarktung und Services. Das Kunststück ist, dabei nicht Überblick und Kontrolle über die Lieferanten zu verlieren.

Österreich schläft

So weit ist das mittelständische Österreich noch lange nicht. Für sein „Trendbarometer“ befragte Festo 200 heimische Industriebetriebe. 55 Prozent davon konnten noch nicht einmal mit dem Begriff Industrie 4.0 etwas anfangen.

Noch weniger ist der Arbeitsmarkt darauf vorbereitet. Beginnen wir mit dem Positiven: Neue Jobs werden für Spezialisten entstehen, die wissen, wie man Wertschöpfungsketten optimiert. Dazu kommen ein noch einige in Vermarktung, Vertrieb und Service.

Gleichzeitig werde die alte Logik fallen, wonach „Roboter dumme und Menschen kluge Sachen machen“, prophezeit Schlautmann. Eigenständige, sich selbst steuernde Maschinen, vergleichbar den Hollywood-Transformers, werden kommen – wenn auch nicht so bald.

Dann haben selbst die heute so begehrten IT-Programmierer kein Leiberl mehr. Noch weniger Maschinisten und alle manuell tätigen Berufsgruppen. Ihnen rät Schlautmann, schleunigst etwas Neues zu lernen: „Noch reden wir von einem Trend, der in der Masse noch nicht angekommen ist.“

In zehn Jahren wird er das sein.

CHRONIK

Die 1. industrielle Revolution fand Ende des 18. Jahrhunderts statt. Wasser- und Dampfkraft machten damals erste mechanische Produktionsanlagen möglich.Die 2. industrielle Revolution folgteum 1900: Elektrische Energie erlaubte nun das Entstehen einer arbeitsteiligen Massenproduktion.Die 3. industrielle Revolution brachte ab 1969 den nächsten Automatisie-rungsschub mit Elektronik und IT.Als 4. industrielle Revolution (Industrie 4.0) wird heute die vernetzte, hoch flexible, sich selbst adaptierende Produktion bezeichnet. Ziel ist die intelligente, wandlungsfähige, ressourceneffiziente Fabrik, auch Smart Factory genannt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2015)

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