Aleppo: Wenn eine Stadt zur Hölle wird

Aleppo, ein Schutthaufen.
Aleppo, ein Schutthaufen.(c) REUTERS (HOSAM KATAN)
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Fassbomben, selbstgebastelte Raketen, Folter - laut Amnesty-International-Bericht Alltag in Aleppo. Die Bewohner leben in ständiger Angst inmitten der Kämpfe.

Aleppo, Syrien: Eine Stadt, durch die die Frontlinie eines Bürgerkriegs läuft, der kein Ende zu nehmen scheint. Ein Kampf von Regierungstruppen gegen eine zerklüftete Opposition, aber vor allem von Zivilisten ums Überleben. Ein 34-jähriger Lehrer fasst die Situation der Menschen in Aleppo zusammen: "Wir sind immer nervös, immer besorgt, schauen immer in den Himmel". Ein neuer Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zeigt einmal mehr auf, wie prekär die Situation für die Menschen der syrischen Stadt ist, die seit dem Ausbruch der Kämpfe vor mehr als vier Jahren immer Mehr zur Ruinenstadt wird.

Das Leben in Aleppo ist ein Leben in Bunkern. Regierungstruppen starten regelmäßig Angriffe, auch mit verbotenen Mitteln wie Fassbomben. Diese mit Metallteilen gefüllten Behälter werden laut Amnesty auf Schulen, Spitäler, Moscheen und Märkte abgeworfen. Erst Mitte April hat ein Video eines mehrfach bezeugten Chlosgas-Anschlags UN-Vertreter zu Tränen gerührt.

A man reacts at a site hit by what activists say was a barrel bomb dropped by forces loyal to Syria´s President Bashar al-Assad, in Aleppo´s al-Fardous district
A man reacts at a site hit by what activists say was a barrel bomb dropped by forces loyal to Syria´s President Bashar al-Assad, in Aleppo´s al-Fardous district(c) REUTERS (HOSAM KATAN)

Assad bestreitet Einsatz von Fassbomben

Aber es sind auch andere Waffen, die Zivilisten treffen. Ölfässer, Benzinkanister oder Gaszylinder werden mit Benzin oder Metallteilen gefüllt und von Helikoptern abgeworfen. Dadurch sind 2014 3000 Menschen alleine in Aleppo ums Leben gekommen, in ganz Syrien starben 11.000 Menschen seit 2012. 85 Fassbombenangriffe soll es auf Aleppo im April gegeben haben - doch die syrische Regierung von Bashar al-Assad bestreitet, solche Bomben einzusetzen.

Eine 24-jährige Frau kommt im Amnesty-Bericht zu Wort: "Die Fassbomben sind die schlimmsten Waffen. Wenn sie explodieren, wissen wir, dass unsere Körper in Stücke gerissen werden. [...] Wir können sie auch kommen sehen. Man wartet eine Minute auf den Tod." Ein Geschäftsbetreiber ergänzt: "Nachem du die Bombe fallen gesehen hast, weißt du nicht wohin du rennen sollst."

Aleppo ist eine bewohnte Ruine.
Aleppo ist eine bewohnte Ruine.(c) REUTERS (HOSAM KATAN)

Opposition verletzt Menschenrechte

Es sind aber nicht nur die Regierungstruppen, die das Leben in Aleppo zur Hölle machen. Auch die Opposition macht sich laut Amnesty International durch Menschenrechtsverletzungen schuldig. Unpräzise Waffen - etwa die "Höllenkanonen" genannten, mit Gaskanistern improvisierten Raketen - kosteten im Jahr 2014 mindestens 600 Zivilisten das Leben. Einwohner sprechen von "völlig willkürlichen" Angriffen durch oppositionelle Gruppen.

Auch Folter ist Teil des Bürgerkriegs in Syrien. Willkürlich werden Menschen verhaftet und entführt. Ein Augenzeuge aus dem Zentralgefängnis in Aleppo berichtet: "Zwischen fünf und sechs am Morgen konnte man nur die Frauen schreien hören. Um 7 Uhr hörten die Frauen auf, und die Männer waren dran. Die Schreie folgten einem Tagesablauf." Er war 2012 von Regierungstruppen festgenommen worden, weil er bei einer Demonstration gefilmt hatte.

"Weltgemeinsachft wendet sich ab"

Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International in Österreich sieht "klar" Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die UNO habe vor einem Jahr eine Resolution verabschiedet, die zu einem Ende der Menschenrechtsverletzungen und insbesondere der Fassbombenangriffe aufrief. "Doch die Weltgemeinschaft scheint sich von Aleppos Zivilbevölkerung abgewendet zu haben, die menschliche Tragödie, die sich hier abspielt, ist ihr gleichgültig", schreibt Patzelt in einer Stellungnahme zum Situationsbericht aus Aleppo.

Von Friedensverhandlungen ist keine Rede. In Genf führt die UNO ab Dienstag, getrennte Verhandlungen mit den Konfliktparteien im syrischen Bürgerkrieg. Die Gespräche auf Botschafter- und Expertenebene unter Schirmherrschaft des UNO-Sondergesandten Staffan de Mistura sollen vier bis sechs Wochen dauern. Zunächst soll festgestellt werden, wo Regime und Opposition fast drei Jahre nach der ersten Genfer Friedenskonferenz stehen.

Regierung militärisch unter Druck

Die Regierung ist in den letzten Wochen unter Druck geraten. Ein angebliches Telefonat eines Offiziers mit Präsident al-Assad, das im Internet kursiert, bestärkt den Eindruck. "Unsere Kräfte haben sich zurückgezogen. Bei mir sind 800 Kämpfer. Aber wir brauchen Munition. Alle werden zurückkehren. Aber ihr müsst uns mit Munition unterstützen", bittet der Offizier den Präsidenten.

Ende März verlor die Regierung die Stadt Idlib in Nordwestsyrien an ein Bündnis aus mehreren islamistischen Rebellengruppen. Ende April dann konnten die Regimegegner westlich davon den strategisch wichtigen Ort Jisr al-Shogur einnehmen. Die Rebellen sind damit sehr nahe an die syrische Mittelmeerküste vorgerückt, dem Kernland der religiösen Minderheit der Alawiten, die das Regime trägt. Auch im Süden Syriens haben Assads Truppen deutlich an Boden verloren.

>> Zum Amnesty-International-Bericht über Aleppo

(klepa)

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