Mütter, die lieber keine geworden wären

Frauenhand und Baybfinger
Frauenhand und Baybfingerwww.BilderBox.com
  • Drucken

Es ist ein gesellschaftliches Tabu, dass Frauen offen bedauern, Kinder bekommen zu haben. Nach einer Studie, in der genau dieses Phänomen thematisiert wurde, entbrannte zuletzt eine heftige Debatte.

Für jede Debatte, die in größerem Umfang auf Twitter geführt wird, gibt es einen Hashtag. Mit #aufschrei schrieben Anfang 2013 Frauen über sexistische Erfahrungen, im Herbst 2014 erzählten Betroffene unter dem Hashtag #notjustsad über ihre Depressionserkrankung – und kürzlich setzte #regrettingmotherhood zu einem Höhenflug auf Twitter an. Anlass dafür war die Studie der israelischen Soziologin Orna Donath. Für „Regretting Motherhood“ (Mutterschaft bereuen) befragte sie von 2008 bis 2011 insgesamt 23 israelische Mütter im Alter von Mitte 20 bis Mitte 70. Einige davon waren also schon Großmütter.

Sie alle haben gemeinsam, dass sie zwar ihre Kinder lieben, aber es dennoch bereuen, sie bekommen zu haben. Und sie alle antworteten auf eine Frage mit einem klaren Nein: „Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, mit Ihrem heutigen Wissen und Ihrer Erfahrung, würden Sie dann noch einmal Mutter werden?“ Wobei es nicht um jene Frauen gehen sollte, die gelegentlich negative Gefühle ihren Kindern gegenüber haben – sondern um jene, die es über Jahre und laufend bereuen. Und die die Uhr am liebsten zurückdrehen würden.

Es sind nicht viele – und die 23 Frauen aus der Studie sind wohl nicht sonderlich repräsentativ. Doch ihre Aussagen schlugen Wellen. Immerhin wurde damit ein Thema angesprochen, das bisher in der Öffentlichkeit kaum präsent war. Selbst wenn es dieses latente Gefühl der Reue gab, öffentlich redete man einfach nicht darüber. Postnatale Depression, das kannte man, auch das gelegentliche Gefühl von Überforderung oder den Wunsch nach Ruhe. Doch dass jemand die Mutterrolle an sich bereuen könnte und das auch noch offen zugab, das rüttelte an einem Tabu.


Zwei Fronten. Die Debatte verlief weitgehend an zwei Fronten – auf der einen Seite standen jene, die über „weinerliche“ Mütter lästerten, auf der anderen hingegen Frauen, die sich erleichtert zeigten, dass sie auch einmal negative Gefühle gegenüber dem Thema Mutterschaft aussprechen konnten. Was folgte, war ein breiter Diskurs – und die Frage, ob man nun mit Kindern oder ohne Kinder ein glücklicheres Leben führt.

Eine ähnliche Diskussion hatte sich schon 2010 entsponnen – als die US-Krimiautorin Ayelet Waldman in ihrem Buch „Böse Mütter“ ebenfalls an Tabus rüttelte: „Wenn eine gute Mutter ihr Kind mehr liebt als alles andere auf der Welt, dann bin ich keine gute Mutter. Tatsächlich bin ich eine schlechte Mutter. Ich liebe meinen Ehemann mehr als meine Kinder.“ 2011 folgte auch der Tabubruch von männlicher Seite – mit Adam Mansbachs „Verdammte Scheiße, schlaf ein“, der über die übermenschliche Anstrengung schrieb, seinem Kind rund um die Uhr positive Gefühle entgegenbringen zu müssen.

Soziologin Donath freut sich, dass ihre Studie derart einschlug und eine heftige Debatte anregte. Sie hofft, dass dadurch der Druck, der auf Müttern lastet, ein wenig nachlässt: „Es muss über die Möglichkeit gesprochen werden, dass Mutterschaft nicht alle glücklich macht.“ eko

Studie

„Regretting Motherhood“
ist der Titel der
Studie, mit der die israelische Soziologin Orna Donath für Aufsehen sorgte.
Sie redete dafür mit Frauen, die sagten, dass sie bereuten, ein Kind bekommen zu haben – und es, wenn das ginge, wieder rückgängig machen würden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Ironisiertes Mutterbild: Judith Samen – „Ohne Titel (Brotschneiden)“, 1997
Kunst

Rabenmütter: Die Mutterschaft in der Kunst

An der Darstellung von Müttern in Kunstwerken lässt sich ablesen, wie sich das Mutterbild im Lauf von mehr als einem Jahrhundert geändert hat. Eine Ausstellung in Linz geht im Herbst dieser Thematik nach.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.