Rabenmütter: Die Mutterschaft in der Kunst

Ironisiertes Mutterbild: Judith Samen – „Ohne Titel (Brotschneiden)“, 1997
Ironisiertes Mutterbild: Judith Samen – „Ohne Titel (Brotschneiden)“, 1997(c) Judith Samen/Lentos Linz
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An der Darstellung von Müttern in Kunstwerken lässt sich ablesen, wie sich das Mutterbild im Lauf von mehr als einem Jahrhundert geändert hat. Eine Ausstellung in Linz geht im Herbst dieser Thematik nach.

Schuld daran ist Martin Luther. Der Kirchenreformator hatte eine Stelle aus dem Alten Testament übersetzt, in der es um Raben und ihre Jungen ging. „Wer bereitet dem Raben seine Nahrung, wenn seine Jungen zu Gott schreien und umherirren ohne Futter?“ lautet die Passage aus dem Buch Hiob – und aus ihr entstand das Bild, dass Raben ihren Nachwuchs vernachlässigen. In Wirklichkeit sollte der in weiterer Folge negativ besetzte Begriff „Rabenmutter“ eine Auszeichnung sein. Denn Rabeneltern, sowohl männliche als auch weibliche Tiere, kümmern sich vorbildlich um ihre Jungen. Selbst wenn junge Raben aus dem Nest gefallen sind und einen verlassenen und hilflosen Eindruck machen, sind die Eltern immer in der Nähe und kümmern sich um sie.


Acht Millionen wissen es besser. Die falsche Deutung aus der Biologie hat sich eingebürgert – und die Rabenmutter wird als Projektion für ein negatives Mutterbild genutzt. Genau dort setzt nun auch eine Ausstellung an, die das Linzer Lentos Museum im Herbst startet: „Rabenmütter“ widmet sich der Darstellung von Mutterschaft von 1900 bis heute. „Es ist ein Titel, von dem wir wissen, dass er einen Effekt erzeugt“, sagt Stella Rollig, künstlerische Direktorin des Hauses und eine der Kuratorinnen der Schau. Viele Mütter würden sich ja selbst als Rabenmütter sehen – weil ihnen genau das immer vorgeworfen wird: „Bei einer Fußball-WM gibt es in Österreich acht Millionen Nationaltrainer. Bei Müttern ist es genauso – alle anderen wissen genau, wie der Job richtig zu machen wäre.“ Egal, wo man sich zwischen den Extrempolen „Rabenmutter“ und „Helikopter-Mum“ positioniert – irgendjemand hat sicher etwas daran auszusetzen.

Hinter dem zynisch gewählten Titel verbirgt sich eine Ausstellung, die einen klaren Wandel des Mutterbildes zeigt. „Um 1900 ist die unfreiwillige Mutterschaft noch ein großes Thema“, sagt Rollig. Dementsprechend gebe es viele Darstellungen, in der sie als Malheur dargestellt wird, das viele Frauen ins Unglück stürzte. „Da gibt es etwa Blätter von Kubin, wo Schwangere sich die Haare raufen.“ Und auch drastische Darstellungen gramgebeugter Frauen nach einer Abtreibung.

„Die große Zäsur kam mit den 1960er-Jahren und mit der Perfektionierung von Verhütungsmethoden“, meint die Direktorin. Und damit auch ein Wandel in der Darstellung dahingehend, dass Mutterschaft als etwas Freiwilliges gesehen wird. Zu diesem Zeitpunkt treten auch feministische Künstlerinnen wie Birgit Jürgensen oder Valie Export an, das Bild der braven Mutter in der Kunst abzulegen.

Das Bild der Mutter tritt heutzutage häufig in einer selbstironisierten Variante auf. „Leistung hat so einen überhöhten Stellenwert bekommen“, sagt Rollig, „und bei einer Mutter gilt das für alle Tätigkeiten, sei es im Beruf oder in Bezug auf die Kinder.“ Ein Beispiel dafür ist etwa „Brotschneiden“ der deutschen Künstlerin Judith Samen – mit einer offenbar überforderten Mutter, die das Baby unter den Arm geklemmt hat. „Es ist zwar Realität, dass Mütter alles unter einen Hut bringen müssen“, sagt Rollig, „aber es ist signifikant, dass dieses Phänomen in der Kunst heute stark überzeichnet ist.“

Ausstellung: „Rabenmütter“. Zwischen Kraft und Krise: Mütterbilder von 1900 bis heute. 23. Oktober 2015 bis 21. Februar 2016, Lentos Linz, www.lentos.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2015)

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