Ein Buch gegen 1000 Hiebe?

Members of Amnesty International hold signs behind the photos of prisoners in Saudi Arabia during a demonstration for the release of Saudi blogger Raif Badawi from jail outside Embassy of Saudi Arabia in Mexico City
Members of Amnesty International hold signs behind the photos of prisoners in Saudi Arabia during a demonstration for the release of Saudi blogger Raif Badawi from jail outside Embassy of Saudi Arabia in Mexico CityREUTERS
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Die Frau des inhaftierten saudischen Bloggers Raif Badawi setzt in ihrem Kampf für dessen Freilassung auf möglichst große Öffentlichkeit.

„Meinungsfreiheit ist die Luft, die jeder Denker zum Atmen braucht“, schrieb Raif Badawi im August 2010 unter dem Titel „Denke, was immer du willst“ auf der Internetplattform „al-Hewar al-Mutamaddin“. Der saudiarabische Blogger kritisierte darin, dass in arabischen Gesellschaften „jedes freie Denken einen Abfall oder Austritt vom Glauben und von der Sitte bedeutet“. Am Ende seiner Auseinandersetzung mit der „Last der Theokratie“ machte Badawi seiner Sorge Luft, „dass die klugen Köpfe der arabischen Welt eines Tages alle auswandern werden, auf der Suche nach frischer Luft, irgendwohin, weitab von den Schwertern des religiösen Autoritarismus“. In seinen Blog-Beiträgen hat er sich für Meinungs- und Religionsfreiheit eingesetzt, hat „islamistisch frömmelnde Aktivisten“ seiner Heimat ebenso angeprangert wie die „pseudo-islamistische, chauvinistische Arroganz“ jener New Yorker Muslime, die 2010 just neben Ground Zero ein islamisches Zentrum forderten.

Seit 2012 bloggt Badawi nicht mehr. Der 31-jährige Internetaktivist wurde zu zehn Jahren Haft, 1000 Stockschlägen und einer Million Rial (200.000 Euro) Geldstrafe verurteilt. Wofür, das kann man in dem kleinen Band „1000 Peitschenhiebe“ nachlesen. Der deutsche Journalist Constantin Schreiber hat die Texte mit der Hilfe von Badawis Frau, Ensaf Haidar, zusammengesammelt, rekonstruiert und bei Ullstein veröffentlicht. „Es ist wichtig, das Thema in der öffentlichen Wahrnehmung zu halten“, sagte Schreiber zu DWDL.de.

Brief von der Gefängnistoilette. Doch keiner weiß, ob die Veröffentlichung dem Blogger schaden oder helfen wird. Badawis Frau ist überzeugt, dass Öffentlichkeit ihren Mann vor der Weiterführung der ausgesetzten Prügelstrafe bzw. einer Todesstrafe bewahren kann– sie setzt sich unermüdlich für seine Freilassung ein, informiert Medien, Organisationen wie Amnesty International demonstrieren weltweit.

Auch Badawi geht in die Offensive: Unter größter Gefahr steuerte er für das Buch einen Brief aus dem Gefängnis bei. Einmal, schreibt er darin, fand er auf der Wand der Toilette Nr.5 den Schriftzug „Der Säkularismus ist die Lösung!“. „Ich war zutiefst verwundert und erfreut über diesen kurzen, schönen, so andersartigen Satz. Dass ich so etwas zu lesen bekam, inmitten von hunderten vulgären, in allen erdenklichen arabischen Dialekten geschriebenen Wörtern, [...] bedeutet, dass es irgendwo hier in diesem Gefängnis zumindest eine Person geben muss, die mich versteht.“ Nur einer unter Hunderten. In Saudiarabien sind – zumindest öffentlich – nicht viele auf Badawis Seite. Derzeit wird sein Fall vor Gericht neu aufgerollt. Ob sich die Behörden von der breiten internationalen Öffentlichkeit beeindrucken lassen, muss sich erst zeigen. Aber zumindest hilft das Buch Badawis Familie, die Geldbuße zusammenzukratzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2015)

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