„A Girl Walks Home Alone at Night“: Die Rächerin im Tschador

„A Girl Walks Home Alone at Night“
„A Girl Walks Home Alone at Night“(C) Thimfilm
  • Drucken

Ein Schleier ist auch eine Art Cape: In „A Girl Walks Home Alone at Night“ zieht ein männermordendes iranisches Vampirmädchen durch die Nacht. Wunderschön, bildstark.

Die namenlose Frau mit dem schwarzen Schleier über dem Haar sieht stumm zu, wie ihr der Drogendealer langsam über die Wange streicht. Sie bleibt auch stumm, als seine Finger weiterwandern, über ihr Kinn, ihre Unterlippe. Da öffnet sie die Lippen und entblößt zwei spitze Eckzähne. Sie nimmt seinen Zeigefinger in den Mund, und ehe er weiß, wie ihm geschieht, hat sie ihn schon abgebissen. Nur kurz hat sich ihr Gesicht zu einer Fratze verzogen, jetzt schaut sie ihn wieder mit ihren großen Augen an. Er windet sich auf dem Boden, wimmert vor Schmerz. Mit einem Biss in seine Halsschlagader erlöst sie ihn schließlich.

Gut, beißende Vampire, auch -innen, hat man schon gesehen, doch „A Girl Walks Home Alone at Night“, das schwarz-weiße Spielfilmdebüt der amerikanischen Regisseurin Ana Lily Amirpour, ist anders. Die namenlose Schönheit mit den gelegentlich aufblitzenden Eckzähnen ist, was sich Amirpour, deren Eltern 1979 aus dem Iran emigriert sind, als iranischen Vampir vorstellt. Als sie 2003 zum ersten Mal das Land ihrer Eltern bereiste, so erzählte sie es dem „Guardian“, riet man ihr, einen Tschador zu tragen, dieses bodenlange schwarze Tuch, das über den Kopf geworfen wird und nur noch das Gesicht frei lässt. Das Tuch flatterte im Wind wie ein Cape. Amirpour fühlte sich wie ein iranischer Vampir. Und beschloss, einen Film darüber zu drehen.

Das Ergebnis ist nun auch in Österreich zu sehen: Die geheimnisvolle Vampirin (wundervoll: Sheila Vand) streift Nacht für Nacht durch die fiktive Geisterstadt Bad City. Es ist eine denkbar abgründige Gegend, für die als Drehort das kalifornische Taft herhalten musste: Ein Sündenpfuhl mit stampfenden Ölpumpen, Leichengruben und halbseiden ausgeleuchteten Gassen. Der junge Arash (der Hamburger Arash Marandi) lebt hier mit seinem Vater, einem Junkie. Da dieser seine Schulden nicht mehr zahlen kann, nimmt der tätowierte Drogendealer Saeed Arash' geliebten Ford Thunderbird an sich. Als Arash sich das Auto zurückholen will, begegnet er vor Saeeds Wohnung der jungen Frau im Tschador, wie sie sich mit blutverschmiertem Mund davonstiehlt. Zwischen den beiden entspinnt sich eine feinsinnige Romanze, langsam scheint Arash zu dämmern, was das Mädchen macht, wenn es nachts allein nach Hause geht – oder auf dem Skateboard rollt, ein unvergessliches Bild.

Die stark reduzierte Handlung erstreckt sich über 99 Minuten, Amirpour geht es mit genüsslicher Gemächlichkeit an: Wenige Worte, lange Einstellungen. Ein Soundtrack aus Wild-West-Klängen, elektronischer Musik und iranischem Pop. Arash und die Vampirin sind Außenseiter in einer schwarz-weißen Welt voller Archetypen („Die Prostituierte“, „der Zuhälter“, „die Prinzessin“ heißen sie auch im Abspann): Er ein ehrenhafter Ritter mit nicht ganz weißer Weste. Und sie – das schöne Mädchen mit dem dicken Lidstrich, das zu Hause eine Discokugel und einen Plattenspieler hat und einem kleinen Buben das Skateboard weggenommen hat? Eine stumme Rächerin, die an diesem gesetzlosen Ort Selbstjustiz übt? Eine verhüllte Emanze als Vorbild unterdrückter muslimischer Frauen?

Der „erste iranische Vampirwestern“

Amirpour verpflichtete für ihren Film Schauspieler mit iranischen Wurzeln, die auch Persisch sprechen (es gibt deutsche Untertitel). Mit dem Iran hat die Welt in diesem „ersten iranischen Vampirwestern“ dennoch kaum etwas zu tun. Sie ist eine Ausgeburt Amirpours Fantasie, angereichert mit zahlreichen Zitaten aus Film- und Popkultur: Der junge Arash erinnert deutlich an James Dean, Amirpour gibt auch David Lynch, Sergio Leone und „Nosferatu“ als Inspiration an. „Ich habe mein eigenes Universum geschaffen und dort die Regeln selbst gemacht“, so die Regisseurin. Und es ist ein faszinierendes Universum voller unausgesprochener Sehnsüchte und magischer Anziehung, in dem zum Glück nur wenige Regeln zu gelten scheinen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.