Bin Laden las Verschwörungstheorien über 9/11

Terrorführer Osama bin Laden
Terrorführer Osama bin LadenAPA/EPA
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Die USA stellen Dokumente ins Internet, die sie beim 2011 getöteten al-Qaida-Chef sichergestellten hatten. Bin Laden beschäftigte sich mit Büchern über Obamas Politik und forderte Großangriffe auf die USA.

Vier Jahre nach der Tötung von Osama binLaden haben die USA mehr als 100 Dokumente des einst meistgesuchten Terroristen der Welt veröffentlicht. Die Soldaten der US-Eliteeinheit Navy Seals hatten das Material bei der Jagd auf BinLaden in der pakistanischen Stadt Abbottabad im Mai 2011 sicher gestellt. Auf richterliche Anordnung wurden die Papiere nun in englischer Übersetzung freigegeben.

Die von der Aufsichtsbehörde für die US-Geheimdienste ins Internet gestellten Dokumente enthalten zahlreichen Aufzeichnungen Bin Ladens zum Thema Jihad, Notizen über die deutsche Wirtschaft und Länderinformationen über Frankreich. Dazu kommen englischsprachige Studien zu Terrorismus, Zeitschriften zur internationalen Politik und öffentlich einsehbare Dokumente der US-Regierung, wie etwa den Abschlussbericht der US-Kommission zur Untersuchung der Anschläge vom 11. September 2011.

Bin Laden besaß ein Buch über Verschwörungstheorien rund um 9/11 sowie über die Illuminaten, ein Buch von "Washington Post"-Reporter Bob Woodward über die Kriege von US-Präsident Barack Obama sowie ein Werk des Sprachphilosophen und Begründers der modernen Linguistik, Noam Chomsky.

Kurzbiografien anglikanischer Bischöfe

In einem Schreiben äußert der einstige al-Qaida-Chefseine Frustration über gescheiterte Terroranschläge. "Es war Pech, und Gott war nicht auf unserer Seite." Unter den Zielen der gescheiterten Aktionen sind Russland, wo eine Gasleitung oder die US-Botschaft explodieren sollten, sowie Großbritannien und Amerikaner in Dänemark. Dorthin sei eine Gruppe von "drei Brüdern" geschickt worden, um eine "Operation" durchzuführen. Der Kontakt sei aber abgerissen. BinLaden ruft dazu auf, neben Gas- und Diesel-Tanks auch Flugzeuge, Züge und Autos als "Tötungswerkzeuge" einzusetzen.

Die Angst, entdeckt zu werden, trieb Bin Laden zu äußerster Vorsicht. "Unsere Sicherheitssituation erlaubt es nicht, zu Ärzten zu gehen. Also gebt acht auf Eure medizinischen Bedürfnisse, vor allem Eure Zähne", sagte er den Angehörigen seiner Familie. Als seine Frau Umm Hamza von einer Iran-Reise zurückkehrte, musste sie ihre komplette Kleidung wechseln: "Den Iranern kann nicht getraut werden. Es könnte ein Chip in Deine Sachen implantiert worden sein."

Außerdem lagerte er Kurzbiografien von Bischöfen der anglikanischen Kirche von England. Unklar bleibt aber, ob Bin Laden die persönlichen Angaben für mögliche Anschläge auswertete oder ob er sie wegen eines allgemeinen Interesses am Christentum aufhob, schreibt der britische "Daily Telegraph" in seiner aktuellen Ausgabe. Unter den religiösen Dokumenten finden sich auch Aufsätze über "Mohammed in der Bibel", "Die Auferstehung", zur Frage "Wurde Jesus für unsere Sühne gekreuzigt?" und "Was man über den Islam wissen muss".

"Müssen hundertmal mehr Amerikaner töten!"

Dass über die strategische Ausrichtung von al-Qaida gestritten wurde, geht auch aus den Akten hervor. So forderte BinLaden, die Terrorattacken sollten sich auf den größten Feind USA konzentrieren: "Wir sollten Einsätze gegen die Armee und Polizei in allen Regionen stoppen, außer im Jemen", schrieb er. Während Bin Laden nach wie vor auf große Terroranschläge setzte, wollten andere al-Qaida-Funktionäre kleinere Operationen durchführen. Wir müssen uns darauf konzentrieren, Amerikaner zu töten und zu bekämpfen", heißt es in einem der Schreiben Bin Ladens. In Afghanistan müssten hundertmal mehr Amerikaner sterben, um die Zahl der US-Todesopfer des Vietnamkriegs zu erreichen.

Kritik wegen brutalem Terror-Ableger im Irak

Am zweiten wichtigen Schauplatz im Kampf gegen die US-Truppen, im Irak, war Bin Laden langsam die Kontrolle über die Kämpfer entglitten, die sich offiziell zu seiner al-Qaida zählten. Die sogenannte al-Qaida im Irak von Abu Mussab al-Zarqawi, die Vorläufergruppe des "Islamischen Staates" (IS), zog damals eine Blutspur durch das Zweistromland. Ins Visier nahm sie nicht nur Schiiten - die Angehörigen der zweitgrößten Richtung im Islam, die von extremistischen Sunnitengruppen wie al-Qaida weithin als "Ungläubige" angesehen werden. Zarqawis Gruppe terrorisierte auch andere Sunniten, die sich in ihrem Herrschaftsbereich befanden. Einige der mächtigen sunnitischen Stämme in der Provinz Anbar begannen sich deshalb, wieder von al-Qaida im Irak abzuwenden.

Das brutale Vorgehen seiner "Filiale" im Irak brachte BinLadenauch innerhalb der Organisation scharfe Kritik ein: Dass BinLaden die in seinem Namen angerichteten "Skandale" und das Blutvergießen nicht verurteile, dafür werde er von Gott zur Rechenschaft gezogen werden, schrieb die Gruppe Jihad- und Reformfront in einem Brief von 2007. "Wenn Du es noch kannst, ist es Deine letzte Chance, den Zusammenbruch des Jihad im Irak aufzuhalten."

(APA/dpa/AFP/red.)

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