Konzerte: Ungeschminkte Emotionen

(c) Salzburger Festspiele/EMI Classics
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In konzertanter Form erleben wir heuer melancholische Liebesgeschichten, Hexenspuk und politische Ränkespiele.

„Ernani“ markiert eine Zäsur im Leben Giuseppe Verdis. Zum einen kehrt der Komponist der Mailänder Scala den Rücken, die erst drei Jahrzehnte später, mit der europäischen Premiere von „Aida“, zu „seinem“ Haus werden sollte. „Ernani“ kommt im Teatro La Fenice von Venedig zur Uraufführung. Und es ist jene Oper, mit der die Zusammenarbeit mit Francesco Maria Piave besiegelt wird, dem Verdi-Librettisten schlechthin. Ihre Oper nach Victor Hugo wird ein bewusster Schritt aus den Regionen der klassischen Opera seria in die Gefilde einer psychologisierenden, musikdramatischen Realistik. Die Partie des spanischen Königs Carlo V sollte im ersten Entwurf noch eine Hosenrolle werden, wurde dann aber einem Bariton anvertraut (jenem Stimmfach, das Verdi eigentlich für die Musikgeschichte „erfunden“ hat!).

Die Ansprüche des Komponisten an die dramaturgische Wahrhaftigkeit verzögerten schließlich sogar die Uraufführung. Erst nach längerer Recherche fand sich ein Tenor, dem der Komponist die adäquate Ausdruckskraft für seinen Titelhelden zubilligte. Mit „Ernani“ war es Verdi, der allein entschied, wie seine Werke auf die Bühne kommen durften. In Venedig gab man ihm die Chanche dazu.

In Salzburg dirigiert Riccardo Muti und präsentiert seine streng an Verdis Partitur orientierte Deutung mit einer von ihm gewählten Besetzung und seinem nach Luigi Cherubini benannten Jugendorchester: Vittoria Yeo ist die von allen Herren begehrte Elvira, Ildar Abdrazakov gibt ihren Onkel und Verlobten Don Ruy Gomez de Silva, Francesco Meli ist der Titelheld und Luca Salsi der König.

(c) Paul Schirnhofer

Piotr Beczala und Elīna Garanča, zwei besondere Bühnentemperamente, werden dafür sorgen, dass Jules Massenets „Werther“ anlässlich der konzertanten Aufführungen ganz ohne Kulissenzauber zum theatralischen Erlebnis werden kann. Das Werk ist neben „Manon“ die meistgespielte Oper Jules Massenets. Und es hat eine innige Beziehung zum österreichischen Musikleben, ist es doch eine der wenigen bedeutenden Opern des internationalen Repertoires, die im Wiener Haus am Ring, damals Hofoper, ihre Uraufführung erlebt haben.
Die kaiserliche Haupt- und Residenzstadt kam aus tragischem Anlass in den Genuss des Jus primae Noctis: Massenets bevorzugtes Uraufführungshaus, die Pariser Opéra Comique, brannte ab; und zwar – Ironie des Schicksals – nach jenem Abend, an dem der Komponist die fertige Partitur dem Direktor der Opéra vorgespielt hatte, der gemeint haben soll: „Ich hatte auf eine zweite ,Manon‘ gehofft. Dieser Stoff aber ist doch sehr trist.“

Tatsächlich entfernt sich Massenet weiter als je zuvor von den Reglements der Gattung. Durchwegs herrscht im „Werther“ jene aparte Mixtur aus Melancholie und Ekstase, in die der Komponist bei der Lektüre von Goethes Roman geriet; sein Verleger hatte Massenet das Buch nach einem Besuch der Bayreuther Festspiele in die Hände gespielt. Man machte Station in Wetzlar und holte sich in jenem Haus, in dem Goethe den „Werther“ gedichtet hatte, Inspiration. Das Ergebnis fesselt die Musikwelt bis heute.

(c) Florence Grandidier

„Dido and Aeneas“ gilt als Gipfelwerk des englischen Musiktheaters, aus der Feder jenes Komponisten, der als „Orpheus Britannicus“ in die Kulturgeschichte eingegangen ist. Tatsächlich war Henry Purcell (1659–1695) der letzte bedeutende englische Meister für mehr als 200 Jahre. Erst der Richard-Strauss-Zeitgenosse Edward Elgar und später mit überwältigendem Erfolg Benjamin Britten konnten London als Hotspot der musikalischen Entwicklung wieder auf der Landkarte markieren.

Purcell schrieb sein Drama in einer Zeit, in der man in England versuchte, nach der puritanischen Revolution wieder ein Kulturleben aufzubauen. Theater galt als geradezu anrüchig – wurde Musik „beigemengt“, konnte man immerhin ein Verbot umgehen. So entstand, was in der Literatur später als Semi Opera firmierte. Tatsächlich ist die Partitur, die Purcell für „Dido und Aeneas“ hinterlassen hat, keine „halbe Sache“, sondern eine der vielgestaltigsten und mitreißendsten Musiktheaterexperimente, die je unternommen wurden. Nicht zuletzt die furiosen Hexenchöre, inspiriert von
Shakespeares „Macbeth“, der in jener Zeit nach wie vor in den Köpfen der englischen Theaterliebhaber lebendig war, begeistern bei jeder Wiederbegegnung.

Freilich bedarf das Stück des Arrangements – schon angesichts der unsicheren Quellenlage, aber auch, weil die vergleichsweise kurzen Musiknummern mit theatralischen Mitteln zu einem veritablen Theaterabend verdichtet werden müssen. Thomas Hengelbrock hat in Personalunion als Dramaturg und Dirigent des Balthasar-Neumann-Ensembles eine Spielversion für die Salzburger Festspiele erstellt, die nebst den Sängern Kate Lindsey (als Karthager-Königin Dido), Benedict Nelson (ihr Geliebter Aeneas, der sie auf göttliches Geheiß verlässt, um Rom zu gründen) und Katja Stuber auch eine Rolle für die Schauspielerin Johanna Wokalek vorsieht – und somit die Form der Semi Opera mit konzertanten Mitteln wiederbelebt.

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