French Open: Die Leiden der Drama Queen

TENNIS - WTA, French Open 2015
TENNIS - WTA, French Open 2015(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Matthias Hauer)
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Serena Williams greift im heutigen Endspiel gegen Lucie Šafářová nach dem 20. Grand-Slam-Titel. Im Halbfinale führte die Amerikanerin eine ihrer berühmten Tragödien auf.

Paris. Es war ein seltsames Schauspiel, das bei den French Open auf dem Court Philippe Chatrier dargeboten wurde. Die seit einigen Tagen erkältete Serena Williams schleppte sich wie ein angeschlagener Boxer im Schneckentempo über den Platz, um sich bei den Seitenwechseln theatralisch mit kalten Tüchern zu erfrischen. Ihre Halbfinal-Gegnerin, die Schweizer Senkrechtstarterin Timea Bacsinszky, führte bereits 6:4, 3:2. Die Sensation lag in der Luft.

Doch plötzlich fing sich Williams, und die Partie kippte komplett. Die Amerikanerin, 33, donnerte wieder Aufschläge mit knapp 200 km/h ins Feld, gewann die nächsten zehn Games in Folge und zog mit 4:6, 6:3, 6:0 ins Finale ein. Bacsinszky verließ unter Tränen den Platz, während Williams ihr Siegerinterview („Ich weiß auch nicht, woher ich die Energie genommen habe“) wegen eines Hustenanfalls abbrechen musste. Weil ihr Hang zum Drama bekannt ist, ist es schwierig, einzuschätzen, wie viel Showfaktor tatsächlich dabei war. Die anschließende Pressekonferenz hat sie jedenfalls abgesagt, sie habe einen Arzt aufsuchen müssen. Und natürlich werde sie alles tun, um im heutigen Finale (15 Uhr, live ORF Sport plus und Eurosport) wieder bei 100 Prozent zu sein, ließ Williams ausrichten.

„Ein wenig unfair“

Bacsinszky vermied es zwar, ihre Gegnerin zu kritisieren („Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wieso sie Theater spielen sollte“), in Paris ist die Empörung über Williams aber groß. „Was sie gemacht hat, war schon ein wenig unfair. In einem Grand-Slam-Halbfinal sollte man der Gegnerin nicht das Gefühl geben, man könne sich nicht mehr bewegen“, meinte etwa der dreifache schwedische French-Open-Champion und Eurosport-Analyst Mats Wilander.

Sofort wurden Erinnerungen an Williams' kuriosen Wimbledon-Auftritt im Vorjahr wach. Einen Tag nach ihrer Drittrunden-Niederlage trat sie an der Seite ihrer Schwester Venus zum Doppel an. Die Amerikanerin konnte sich kaum auf den Beinen halten, hatte massive Probleme, die Zuspiele der Ballkinder zu fangen und brachte keinen Aufschlag ins Feld. Die skurrile Darbietung wurde mit einer Viruserkrankung erklärt, allerdings kursierten auch Gerüchte, Williams hätte sturzbetrunken gespielt. Die Williams-Schwestern gaben damals beim Stand von 0:3 auf.

In Paris waren auch schon vor dem Halbfinale seltsame Auftritte der Tennis-Diva zu beobachten. Williams quälte sich durch das Turnier, nachdem sie dreimal den ersten Satz verschlafen hatte. Kräftemäßig dürfte sie im Kampf um ihren dritten French-Open-Titel nach 2002 und 2013 im Nachteil sein.

Ausgeruhte Außenseiterin

Ihre vor Turnierbeginn nicht für möglich gehaltene Finalgegnerin Lucie Šafářová, Nummer 13 der Welt, hat hingegen noch keinen Satz abgegeben. Die 28-jährige Tschechin hat mit Sabine Lisicki (20), Titelverteidigerin Maria Scharapowa (2), Garbine Muguruza (21) und zuletzt Ana Ivanovic (7) der Reihe nach vier gesetzte Spielerinnen aus dem Bewerb genommen. „Ein Traum ist wahr geworden, ich kann es noch nicht glauben. Es fühlt sich nicht real an“, sagte die in Brünn geborene Linkshänderin, die nun zumindest auf Platz 7 der Weltrangliste vordringt.

Dass aber ausgerechnet Lucie Šafářová in ihrem ersten Grand-Slam-Finale Williams bezwingt, ist schwer vorstellbar. Die Amerikanerin ist allen Gegnerinnen derart überlegen, dass sie selbst angeschlagen von Sieg zu Sieg eilt. Im direkten Vergleich führt Williams jedenfalls 8:0. Gewinnt sie auch das neunte Duell und einmal mehr den Kampf gegen ihre Erkältung, steht sie bei 20 Grand-Slam-Titeln. Nur Margaret Court (24) und Steffi Graf (22) haben noch mehr. Überraschungsfrau Šafářová kann unbeschwert aufspielen, am Sonntag steht sie außerdem mit Bethanie Mattek-Sands im Doppelfinale.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2015)

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