Vom braven Langweiler zum unterhaltsamen Bösewicht

Wie viele Historiendramen von Shakespeare passen in einen Theaterabend? Ivo van Hove reizt das Potenzial nicht einmal zur Gänze aus.

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Geschichten haben, so lernten wir es einst jedenfalls im bronzenen Zeitalter des Gymnasiums, einen Anfang, eine Mitte und einen Schluss. Wann aber kann man unbelastet vom Ende der Geschichte reden, ohne gleich als Neoliberaler denunziert zu werden? Wenn Richard III. sich in der Schlacht von Bosworth verliert und verzweifelt nach einem Pferd schreit, weiß der Zuseher zumindest bei William Shakespeares Königsdrama, dass bald der Vorhang für das Haus York fallen und die Macht der Tudors einsetzen wird.

Ein strahlender, junger Held löst einen bösen Buckligen ab, das findet der Stehplatzbesucher in dieser Situation sogar mehr als gerecht. Doch die Historie hört nur im Drama auf. Im folgenden Teil lauert bereits, wie in der Realität, der nächste Finsterling. Sonst würde es überhaupt keinen Spaß machen, ins Theater zu gehen.

Einer der maßlosen Regisseure, die gar nicht genug kriegen können vom Schwimmen im Strom der Zeit, ist der Belgier Ivo van Hove. Vor sieben Jahren hat er die Besucher der Wiener Festwochen damit herausgefordert, gleich drei Römische Dramen Shakespeares an einem sechsstündigen Abend zu verfolgen. Inzwischen hat er sich dessen wilder historischer Dramen angenommen. Im Vergleich dazu scheint mir die Römer-Reimerei nur ein mattes Vorspiel.

Van Hove bringt nun, wiederum mit der Toneelgroep Amsterdam, die „Kings of War“, in denen „Henry V“, „Henry VI“ und „Richard III“ zusammengefasst sind. Habe ich bereits erwähnt, dass Shakespeares Frühwerk „Heinrich VI.“ drei Teile umfasst und sich im unübersichtlichen Teil um die Rosenkriege dreht? Zusammen mit dem patriotischen „Heinrich V.“ und Richard III.“, der den Tudor-Mythos feiert, erstreckt sich diese Geschichte von 1413 bis 1485. Ein gewaltiges Zeitalter wird von uns eingeschriebenen Stratfordianern im Gegengift besichtigt. Nur zur Erinnerung: So lang herrschte bisher nicht einmal die ewige Queen Elizabeth II. 72 Jahre sind unfassbar lang für Königsdramen.

Wie also sich zurechtfinden bei dieser Hundertschaft an Personen und Aktionen, die an uns vorbeirauschen? Lassen wir uns nicht ablenken: Prinz Hal, der in dem von van Hove vernachlässigten zweiteiligen Drama „Henry IV“ anfangs an der Seite Falstaffs noch einen pubertären Eindruck machte, reift in „Henry V“ zum heroischen König. Wer ihn mag, jubiliert: „We few, we happy few, we band of brothers.“

Ganz anders der Aufsteiger aus York. Richard ist absolut böse, total unterhaltsam und ein Trost für jene, denen es wegen Hals Läuterung schon langweilig wurde. Aber das historische Mittelstück? Wirres Zeug, jenseits von Gut und Böse. Fragen Sie die Nebenfigur Johanna von Orleans – niemand kennt sich in dem Teil der Geschichte wirklich aus. Heinrich VI. ist schwach. Anything goes. Sicher scheint nur: Rote Rose Lancaster. Weiße Rose York.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2015)

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