Wie schafft es Herr Darabos nur, morgens in den Spiegel zu schauen?

Wie die überschaubare berufliche Qualifikation vieler Spitzenpolitiker aller Couleurs dazu führt, dass denen nichts, aber auch schon gar nichts zu peinlich ist.

Es war, man kann es nicht anders benennen, ein durch und durch erbärmlicher Anblick, den führende sozialdemokratische Politiker in diesen Tagen bei ihren Versuchen boten, zu erklären, was sich nicht erklären lässt: Nämlich, dass die FPÖ so böse ist, dass man keinesfalls mit ihr koalieren kann, und deshalb (im Burgenland) nun mit den Freiheitlichen koaliert wird.

Für sensible Gemüter war glatt mitleiderregend, Herrn Cap, Herrn Hundstorfer oder gar Herrn Darabos dabei zu beobachten, wie sie im Fernsehen ihren Zuschauern mit leichter Verzweiflung zumuteten, ihnen den größten nur denkbaren Bullshit abzunehmen – dabei wissend, dass nicht einmal der allerdümmste Tölpel ihnen diesen Bullshit abkaufen wird. Man möchte gar nicht wissen, wie sich ein noch halbwegs intakter Charakter dabei fühlen muss, wenn er sich eine derartige Selbstverbiegung zumutet. Das wirft schon irgendwie die Frage auf: Warum tut sich jemand eigentlich so etwas an? Warum ist jemand bereit, ein solches Ausmaß an Peinlichkeit zu erdulden?

Damit verbunden: Warum manövrieren sich Spitzenpolitiker regelmäßig in Situationen, deren Peinlichkeitsfaktor astronomische Werte erreicht? Warum wird also etwa ein Norbert Darabos, der sich stets als Speerspitze des antifaschistischen Kampfes gegen die FPÖ gerierte, nun völlig ungeniert deren Koalitionspartner in der Landesregierung, ohne sich vor Scham im tiefsten Keller der Löwelstraße zu verkriechen? Was bringt seine Genossen dazu, diesen unerhörten Vorgang wider besseres Wissen und trotz des empörten Gejohles der davon angewiderten Öffentlichkeit zu verteidigen?

Die Antwort ist simpel: Weil der größere Teil des politischen Personals – und das ist nicht nur in der Sozialdemokratie so – in der Politik wesentlich mehr Geld verdient als im erlernten Beruf, so es überhaupt über einen verfügt. Diesen Leuten ist völlig bewusst, dass sie außerhalb der Politik ein materiell bescheiden dotiertes Leben führen müssten, die Privilegien selbst der ruralen C-Prominenz einbüßten und in der Folge insgesamt auf das ihren tatsächlichen Fähigkeiten nach zustehende Maß reduziert würden. Das ist natürlich für die Betroffenen keine riesig lustige Option. Wer will schon so leben müssen wie seine Wähler. Brrrr.

Deshalb treffen sie eine ganz rationale und vernünftige Abwägung: sich eine Zeit lang jenen demütigenden und entwürdigenden Selbstverbiegungen zu unterwerfen, wie sie in den vergangenen Tagen so hübsch zu besichtigen waren, und dafür bis zum Lebensende die materiellen Früchte dieser Peinlichkeit ernten zu können; oder aber dies zu verweigern, für ungefähr 15 Minuten berühmt zu werden und anschließend Gefahr zu laufen, den Rest seines Lebens mangels erlernten bürgerlichen Berufs Grundsicherungsempfänger zu werden.

Wie angesichts dieser Optionen eine rationale Entscheidung ausfallen wird, ist nicht sehr schwer zu erraten. Vermutlich erklärt dieser Mechanismus auch, wie viele politische Koalitionen – nicht nur jetzt im Burgenland – zustande kommen.

SPÖ wie ÖVP sind bei näherer Betrachtung ja keine Parteien mehr, sondern bloße Interessenvertretungen – nicht zuletzt der Interessen ihrer jeweiligen Führungsschicht und all jener Funktionäre in der zweiten und dritten Ebene, deren bürgerliche Existenz in vielen Fällen vom politischen Überleben der jeweiligen Führungskader abhängt.

Vor diesem Hintergrund wird völlig rational, dass die burgenländische SPÖ mit der dortigen FPÖ koaliert – sie schaltet damit einfach die Gefahr aus, in die Opposition gedrängt zu werden und damit die Versorgung ihrer mittleren und unteren Chargen mit attraktiven Jobs zu gefährden. Dafür in die Verlegenheit zu kommen, erklären zu müssen, warum man mit der FPÖ ins Bett springt, ist ein rein materiell gesehen ausgesprochen günstiger Preis. Und den zu entrichten ist letztlich deutlich bequemer als das mühsame Erlernen eines Berufes, der materiell unabhängig macht und Politikern derartige Erniedrigungen ersparen würde.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.