Europaspiele: Eine sportliche Sinnfrage

Aktuell Europaspiele 2015 in Baku Vorbereitungen im Athletendorf BAKU AZERBAIJAN Illustration
Aktuell Europaspiele 2015 in Baku Vorbereitungen im Athletendorf BAKU AZERBAIJAN Illustration(c) imago/Belga (imago sportfotodienst)
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In Baku feiern die kontinentalen Titelkämpfe ihre Premiere. Über 6000 Athleten messen sich in 20 Sportarten, deren Wertigkeit ebenso fragwürdig wie das exorbitante Budget ist.

Baku/Wien. Der Schock des schweren Unfalls im Athletendorf (siehe Artikel rechts) ist noch nicht verdaut, doch gestern Abend zog die österreichische Delegation angeführt von Trap-Europameister Andreas Scherhaufer zur feierlichen Eröffnung der ersten Europaspiele im Nationalstadion von Baku ein. Viel Kritik begleitet die Premiere in Aserbaidschans Hauptstadt. Aus politischer Sicht wird die Menschenrechtslage im vom autoritären Präsidenten, Ilham Alijew, geführten Staat am Kaspischen Meer angeprangert, doch auch die Frage nach der sportlichen Sinnhaftigkeit ist nicht von der Hand zu weisen.

Über 6000 Athleten aus 50 Nationen kämpfen bis zum 28. Juni in 20 Sportarten um Medaillen (Sport1 überträgt live). Stellenwert und Zielsetzung sind nicht minder unterschiedlich als die einzelnen Disziplinen. Im Tischtennis, Schießen und Triathlon ist der Anreiz am größten, sind die jeweiligen Einzelsieger direkt für die Olympischen Spiele in Rio 2016 qualifiziert. Im Judo werden in Baku ersatzweise EM-Medaillen und zudem ebenso wie im Bogenschießen, Boxen, Radsport, Taekwondo, Ringen und Volleyball zumindest Punkte für die Olympia-Qualifikation vergeben. Für die restlichen Sportarten ist es ein reines Schaulaufen, wobei auch Exoten wie dem russischen Kampfsport Sambo, Blind-Judo, 3x3-Basketball oder Strandfußball eine Bühne geboten wird. Bei Schwimmen und Leichtathletik, zwei Kerndisziplinen des olympischen Programms, ist die Wertigkeit ganz unten angesiedelt: In den Wasserbewerben werden die U19-Titelträger gekürt, die Leichtathleten tragen die dritte Liga der Team-EM aus. Nicht umsonst entstammt der Großteil der antretenden Athleten daher dem Juniorenbereich.

Gegen jeden Widerstand

„Man muss dieser Idee ein wenig Zeit geben“, betonte ÖOC-Sportdirektor Christoph Sieber, der die österreichische Delegation als Chef de Mission vor Ort anführt. Der Gastgeber selbst hatte gerade einmal zweieinhalb Jahre zur Vorbereitung. Im Dezember 2012 setzte Patrick Hickey, irischer Chef des Europäischen Olympischen Komitees (EOC), die Idee eigener Kontinentalspiele, die es in anderen Erdteilen bereits länger gibt, wider alle Bedenken wegen des ohnehin bereits übervollen Wettkampfkalenders durch. Die Veranstaltung stieß auch angesichts der knappen Vorbereitungszeit auf wenig Interesse, als einziger Bewerber erhielt Baku den Zuschlag. Ein Trostpreis für Aserbaidschans Staatschef, Alijew, der zugleich Vorsitzender des Nationalen Olympischen Komitees ist und zuvor mit Bewerbungen für die Sommerspiele 2016 und 2020 gescheitert ist.

In Rekordzeit wurde in Baku eine sportliche Infrastruktur aus dem Boden gestampft, die keinen Zweifel daran lässt, dass die Europaspiele nur ein Zwischenschritt zu Olympischen Spielen sein sollen. Neben dem Athletendorf wurden zehn der 18 Sportstätten, darunter das 68.000 Zuschauer fassende Nationalstadion, neu errichtet. Offizielle Zahlen, wie viel Geld dafür aus der Staatskasse geflossen ist, gibt es freilich nicht. Schätzungen zufolge sollen es bis zu sechs Milliarden Dollar (5,3 Mrd. Euro) sein. Als besonderes Zuckerl übernimmt Aserbaidschans Regierung auch noch einen Großteil der Reisekosten der Teilnehmer. „Das, was Baku liefert, das geht in Baku, aber nicht in Europa“, meinte Sieber zu den Dimensionen. Für zukünftige Auflagen hofft der Surf-Olympiasieger von 2000 auf ein nachhaltiges Konzept. „Es muss für jedes europäische Land leistbar sein.“

Ob sich die Europaspiele durchsetzen werden, ist angesichts der Konkurrenz von EM, WM, Olympia und ab 2018 European Sports Championship, bei der mehrere Sportarten ihre Titelkämpfe gemeinsam in Schottland austragen, mehr als fraglich. Den nächsten herben Rückschlag setzte es erst diese Woche. Die Niederlande zogen sich als Ausrichter der zweiten Europaspiele 2019 zurück. In einer gemeinsamen Erklärung der Regierung, der Provinzen und Kommunen wurden die Kosten von 57,5 Millionen Euro als „unverantwortlich“ hoch eingestuft und die sportliche Relevanz infrage gestellt. Das EOC wird nun Gespräche mit anderen Interessenten führen. Weißrussland ist einer davon.

AUF EINEN BLICK

Die ersten Europaspiele werden bis 28. Juni in Baku ausgetragen. Kritik gibt es an Gastgeber Aserbaidschan und dem Programm. Über 6000 Athleten kämpfen in 20 Sportarten um Medaillen, die ersten werden heute in Karate, Mountainbike, Ringen und Triathlon vergeben. In zehn Sportarten geht es auch um die Olympia-Qualifikation.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2015)

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