Bank of America: „Sie gehören gefeuert“

(c) Reuters (Jason Miczek)
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Die Wut der Verlierer. Echauffierte Aktionäre lassen bei der Hauptversammlung ihrem Unmut freien Lauf. Im Mittelpunkt der Diskussionen steht die Anfang Jänner abgeschlossene Übernahme von Merrill Lynch.

Charlotte. Entspannt sieht Kenneth Lewis nicht gerade aus, als er die Bühne mit zehnminütiger Verspätung betritt. Mit den Worten „Entschuldigen Sie bitte, dass es länger gedauert hat. Wie Sie sehen, ist heute etwas mehr los als sonst“, eröffnet der Chef der Bank of America mit fast demütiger Stimme das Aktionärstreffen des größten Finanzinstituts der Vereinigten Staaten.

Mehr als 2000 Aktionäre – vor einem Jahr waren es gerade 600 – haben sich im Theatersaal von Charlotte im Bundesstaat North Carolina eingefunden. Manche sind gekommen, um „den Mann, den ich jeden Tag im Fernsehen sehe, mal live zu erleben“, wie eine 52-jährige Frau in der fünften Reihe sagt. Viele sind nicht zum Vergnügen hier, sondern um den Chef der größten amerikanischen Bank zum Rücktritt aufzufordern.

Im Mittelpunkt der Diskussionen steht die im September angekündigte und mit Anfang Jänner abgeschlossene Übernahme von Merrill Lynch. „Sie haben genau gewusst, wie schlecht Merrill dasteht, und haben es uns verschwiegen“, ärgert sich eine Aktionärin. „Sie gehören sofort gefeuert.“

Schlechte Zahlen verschwiegen?

Die Umstände rund um die Übernahme der einstigen Investmentbank sorgen seit Wochen für Spekulationen. Die Aktionäre hatten dem Kauf im Dezember zugestimmt, wenige Wochen bevor der Merrill-Lynch-Verlust von 15,9Mrd.Dollar (12,2Mrd. Euro) für das vierte Quartal bekannt wurde. Nun meinen viele Aktionäre, Lewis hätte die schlechten Zahlen absichtlich verschwiegen, weil sie sich sonst gegen die Übernahme gestellt hätten.

Außerdem dürfte die Politik in noch nie da gewesener Form in die Übernahme involviert gewesen sein. Lewis hat kürzlich angedeutet, vom Chef der Federal Reserve Bank, Ben Bernanke, sowie dem damaligen Finanzminister Hank Paulson zum Schweigen gezwungen worden zu sein. Hintergrund: Hätten die Aktionäre der Bank of America von exorbitanten Merrill-Lynch-Verlusten gewusst und gegen die Übernahme gestimmt, hätte das die ohnehin bereits schwer angeschlagene Finanzwelt endgültig in den Abgrund gestürzt, meinen Experten.

Da die Angelegenheit mittlerweile von der Staatsanwaltschaft untersucht wird, weil Firmenchefs den Aktionären relevante Informationen nicht verschweigen dürfen, äußert sich Lewis bei der Hauptversammlung dazu nur bedingt: „Ich kann nur sagen, dass es eine wahre Krisensituation war. Der Zusammenbruch von Merrill Lynch hätte auch ernste Konsequenzen für die Bank of America gehabt.“ Viele Aktionäre sehen das anders. „Schlimmer hätte es gar nicht kommen können“, brüllt ein älterer Mann in das Mikrofon. Noch vor einem Jahr habe er Anteile an der Bank im Wert von mehr als einer Mio. Dollar gehalten. Seine Söhne hätten sich auf ein ordentliches Erbe gefreut, erklärt er. Nun seien die Papiere nur noch einen Bruchteil wert. Seit Bekanntgabe der Übernahme von Merrill Lynch hat die Aktie rund 75 Prozent ihres Wertes verloren.

Aktionäre feuern den Aufsichtsratschef

Lewis verteidigt sich: „Es wäre fatal zu glauben, dieser Einbruch wäre ohne den Kauf von Merrill Lynch nicht entstanden.“ Außerdem stehe die Bank im Vergleich zu anderen Instituten „äußerst gut“ da. Anders als etwa die einst weltgrößte Bank Citigroup hat Bank of America auch im Vorjahr einen Gewinn erzielt. Dieser ist allerdings um mehr als 70 Prozent auf vier Mrd. Dollar eingebrochen. „Natürlich sind die Rahmenbedingungen in Zeiten einer Rezession extrem schwierig“, sagt Lewis.

Der Ansturm der Aktionäre scheint die Stimmauszähler überrascht zu haben, zu Ende des Aktionärstreffens gibt es noch keine Ergebnisse. „So etwas hat es auch noch nie gegeben“, sagt Lewis, der seit 40 Jahren für Bank of America arbeitet. Wenige Stunden später ist klar: Lewis bleibt Chef der Bank, als Vorsitzender des Aufsichtsorgans wurde er von den Aktionären allerdings abgewählt. Anders als in Europa werden diese beiden Positionen in den USA oftmals von einer Person besetzt. Zuletzt mehrten sich aber Stimmen, diese Regelung an jene der meisten europäischen Länder anzupassen und die beiden Jobs zu trennen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2009)

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