Wirtschaftskrise: So schlimm wie in den 30er-Jahren?

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Der Hamburger "Spiegel" ortet "unheimliche Parallelen" zur Wirtschaftskrise der 30er-Jahre. Immer eindringlicher wird vor einem Rückfall in die Große Depression gewarnt. Eine Warnung, die einem höheren Ziel dient.

Als wäre die Lage nicht schon schlimm genug, ortet der Hamburger „Spiegel“ nun auch noch „unheimliche Parallelen“ zur Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre. Um die Vermutung nachzuschieben, dass sich die Geschichte womöglich doch wiederholt. Mit dem kleinen Wörtchen „womöglich“ bleibt zumindest noch die klitzekleine Hoffnung, dem de facto besiegelten Schicksal samt Massenarbeitslosigkeit und bitterer Armut doch noch entrinnen zu können. Aber wie? Ganz einfach: Indem noch mehr staatliches Geld in die Märkte gepumpt wird, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.

Tatsächlich ist nicht zu übersehen, dass der Niedergang des Jahres 2009 jenem von 1929 in einigen Punkten gleicht: Industrieproduktion und Welthandel brechen nahezu deckungsgleich ein, die Aktienmärkte noch stärker. Gleichzeitig schnellt die Arbeitslosigkeit in die Höhe. Was von den Propheten der Düsternis allerdings ausgeblendet wird, ist der nicht ganz unbeträchtliche Niveau-Unterschied. Eine im Jahr 2009 um zehn Prozent rückläufige Industrieproduktion ist ein kleines Desaster – aber bei weitem nicht so dramatisch wie eine um zehn Prozent rückläufige Industrieproduktion im Jahr 1929. Während die Menschen damals ins soziale Nichts abstürzten, werden wir uns nach dem schwersten Konjunktureinbruch seit der Zwischenkriegszeit auf dem wirtschaftlichen Niveau des Jahres 2007 wiederfinden.

Kollektive Tristesse. Das ist nicht lustig. In Deutschland wird im Falle eines Rückgangs der Wirtschaftsleistung um sechs Prozent für 2010 immerhin ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 4,7 Millionen Menschen erwartet – unter dem abgewählten Kanzler Schröder (SPD) waren mehr als fünf Millionen Menschen auf der Straße, ohne dass sich kollektive Verzweiflung breit gemacht hätte.

Im Februar 1933, auf dem Höhepunkt der Arbeitslosigkeit, stand in Deutschland ein Heer von 6,1 Millionen sozial nicht abgesicherten Arbeitslosen 12 Millionen Beschäftigten gegenüber. Heute schirmen 40 Millionen Erwerbstätige 3,54 Millionen Menschen ohne Job ab. So hart die Situation für Menschen auch ist, im Zuge der tobenden Krise den Arbeitsplatz zu verlieren: Im Gegensatz zur Großen Depression wird den Massen Hunger und Obdachlosigkeit zum Glück erspart bleiben. Und das Gros der Privilegierten wird sich mit dem Gedanken tragen, den Zweit- und Dritturlaub streichen zu müssen. Eine „unheimliche Parallele“ zu den 30er-Jahren sieht wohl etwas anders aus.


Keine lästigen Fragen. Geschürt werden die Ängste vor dunklen Zeiten von jenen, die auf eine stärkere Rolle des Staates drängen. Linke wie rechte Politiker verweisen auf die „tiefste Rezession seit 1929“ und den „stärksten Anstieg der Arbeitslosigkeit seit den 30er-Jahren“. Um zu suggerieren, die Wirtschaft würde ungebremst in den Keller rasen und die Menschheit direkt ins Jahr 1929 zurückbefördern. Die Warnungen zeigen Wirkung. Die Notenbanken der USA und Europas fluten die Märkte seit Monaten mit billigem Geld, zudem haben sich die Führer der 20 größten Industrienationen der Welt jüngst darauf verständigt, den Internationalen Währungsfonds (IWF) zur globalen Geldverteilungsmaschine auszubauen.

So werden die Mittel des IWF zur Krisenbekämpfung auf 1000 Milliarden Dollar verdreifacht – ein erfreuliches Signal. Wann, wenn nicht jetzt?

Weniger erfreulich ist, dass die Kreditvergabe des IWF neuerdings an keinerlei Bedingungen mehr geknüpft wird. Was die Staaten mit den von der internationalen Gemeinschaft geliehenen Geldern so anstellen, scheint niemanden zu interessieren. Hauptsache, es wird kräftig ausgegeben. Ob mit den Milliarden aufgeblähte Bürokratien durchgefüttert oder Projekte mit Zukunft finanziert werden, ist offensichtlich irrelevant. Ebenso die Frage, wann die Mittel wieder zurückbezahlt werden sollen. Falls überhaupt.

Dem IWF wird für die bedingungslose Geldverteilung von allen Seiten applaudiert. Eigenartig. Immerhin war es die lockere Kreditvergabe an mittellose US-Bürger, die am Anfang jenes Desasters stand, in dem wir jetzt stecken. Dieser Fehler soll nun mit einer leichtfertigen Kreditvergabe auf Staatsebene korrigiert werden.

Wir wollen einmal hoffen, dass das gut geht. Und wir nach der hemmungslosen Verschuldung nicht mit anhaltend schwachen Wachstumsraten, horrenden Zinsen und einer Hyperinflation da stehen. In jedem Fall wird sich die öffentliche Hand über ihre Ausgaben enormen Einfluss in der Wirtschaft erkaufen. Sich davor zu fürchten wäre weit angebrachter als vor einer Rückkehr der 30er Jahre zu zittern.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2009)

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