„Von jetzt an kein Zurück“: 1967, kein Sommer der Liebe

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Von der elterlichen Gewalt in den Terror einer Erziehungsanstalt: „Von jetzt an kein Zurück“ zeigt die Unterdrückung eines aufmüpfigen Liebespaars. Derzeit im Kino.

Bundesrepublik Deutschland, 1967: Pop, Revolte, freie Liebe? Nicht in der Provinz. Dort gaben weder Beatles noch Stones den Takt vor, sondern Freddy Quinn: „Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden? Wir!“ Christian Froschs kraftvolles Historiendrama „Von jetzt an kein Zurück“ eröffnet ironisch mit Quinns Spießerhymne: In ihr klingen die Stimmen einer bornierten Elterngeneration, der Film, dessen Titel einem Fehlfarben-Song entnommen ist, spricht für die Jugend.

Ruby (Victoria Schulz) hat langes schwarzes Haar und trägt Minirock im Plattenladen, doch zu Hause heißt sie Rosemarie und leidet mit Mutter und Schwester unter den Schikanen eines erzkatholischen, autoritären Prügelpapas mit Wehrmacht-Vergangenheit (Ben Becker). Der blonde Martin (Anton Spieker) ist Rimbaud-Fan, schreibt selbst Gedichte und kassiert vom Schuldirektor Standpauken für sein unbotmäßiges Verhalten: „Intelligenz ist die Fähigkeit, sich anzupassen.“ Die beiden halten sich an ihrer Liebe fest, ihre Sehnsucht nach Ausbruch zehrt von Musik und Fliegenpilzen – andere Drogen gibt es nicht in den Vorstädten. Die Form schließt sich ihrem Widerstandstaumel an, Frank Amanns schwungvolle Handkamera ist offen für Hoffnungsschimmer, noch scheint eine gemeinsame Zukunft greifbar.

Doch ein blauäugiger Fluchtversuch auf der Vespa scheitert, das Paar wird getrennt und der fragwürdigen Fürsorge christlicher Erziehungsanstalten überantwortet. Die parallel montierten Szenen aus einem Heim der (Un-)Barmherzigen Schwestern und der berüchtigten Diakonie Freistatt bilden das Kernstück der gewagten Drei-Akt-Struktur des Films. Hier setzt es seelische Folter und „Schläge im Namen des Herrn“ – so heißt Peter Wensierskis Buch, das Frosch um eigene Recherchen ergänzt und in zugespitzte Schwarz-Weiß-Bilder übersetzt hat.

Das psychische Erbe der NS-Zeit

Der in Österreich geborene Wahlberliner malt sein Zeitporträt mit breiten Pinselstrichen (vor allem die Erzieherfiguren sind etwas karikaturhaft), doch sein Sinn für die Nachwirkungen von Geschichte garantiert eine vielschichtige Erzählung. Die Darstellung der „Weitergabe des Traumas“ sei ihm ein Anliegen gewesen, sagt er, und tatsächlich hängt das psychische Erbe der NS-Zeit wie eine dunkle Wolke über den Geschehnissen. Nicht nur die Beschimpfungen aufmüpfiger Heiminsassen als „Kameradenschweine“ erinnert an die systematische Entmenschlichung im Dritten Reich, auch das selbstverständliche Nebeneinander von Hochkultur und Grausamkeit. Die gestrenge Oberin (Erni Mangold) hat für ihre „gefallenen Mädchen“ nichts als Verachtung übrig, doch bei Rubys Engelsgesang während der Sonntagsmesse geht ihr das Herz auf. Die Heimleiter vertreiben sich die Freizeit mit Kammermusik, während die Jugendlichen im Moor für einen Hungerlohn Torf stechen müssen. Briefe an die Eltern werden zensuriert, um die elenden Zustände zu verschleiern.

Die Liebenden bleiben einander trotz aller Torturen verbunden und entwickeln sich dennoch auseinander. Er lässt sich nicht bändigen, sie fügt sich zögerlich. Am emotionalen Höhepunkt springt der Film abrupt ins Jahr 1977, und Farbe füllt die Leinwand – doch schnell wird klar, dass es bloße Tünche ist. Ruby betreibt als Schlagersängerin professionelle Verdrängung, ihre schmerzlichen Erinnerungen an Martin (die erratisch ins Narrativ hereinbrechen) offenbaren, dass er sich nach dem Heim einer militanten Organisation anschloss und im Gefängnis landete. Die gesäte Gewalt hat reiche Früchte getragen.

In seiner Thesenhaftigkeit ist „Von jetzt an kein Zurück“ etwas plakativ, aber der emotionale Kern wirkt aufrichtig, auch dank des tollen Spiels der beiden Hauptdarsteller. Zudem schafft es der Film trotz offenkundiger budgetärer Limitierungen, seine Zeitbilder durch die Konzentration auf wenige Schauplätze glaubhaft zu machen. Und von der tragischen Wucht und Poesie seiner letzten Einstellung, eines unverhohlen künstlichen Standbildes, könnte sich das zeitgenössische Kino etwas abschauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2015)

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