Christoph Ransmayr: „Reisen kann höllisch schmerzhaft sein!“

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Der Schriftsteller spricht über sein neues Stück „Odysseus – Verbrecher“, das 2010 uraufgeführt wird. Das Fremde sei nicht nur in der Ferne zu finden, sondern auch vor der eigenen Haustür.

Die Presse: In der Nationalbibliothek nähert sich eine Ausstellung der Ferne an. Das Reisen hat sich sehr verändert. Es ist ungefährlicher, weniger romantisch geworden.

Christoph Ransmayr: Romantisch war das Reisen nie. Wenn überhaupt waren es die Berichte über das Fremde, die dann ihren Weg auf das Papier oder in Bücher gefunden haben. Romantisch war natürlich auch die Erwartung, zunächst. Das Reisen selber war immer eine zum Teil schmerzhafte, auch höllische Konfrontation mit der Realität.

Es ist aber nur mehr selten lebensgefährlich.

Ransmayr: Wenn Sie vergleichen wie viele Reisende des 15., 16. oder 17. Jahrhunderts auf ihren Fahrten gestorben sind oder ihr Ziel vielleicht gerade vor ihrem Tod noch erreicht haben, dann sind die heutigen Reisen so gefahrvoll wie eine Polster-Schlacht. Man reist ja auch nicht mehr in die Fremde, man sucht das Vertraute. Hotelketten haben völlig identisch aussehende Zimmer auf allen Erdteilen. Ein Strand hat einzig und allein einen Zweck, dort in der Sonne zu liegen, zu lesen und zu schwimmen.

Viele lassen sich gar nicht mehr ein, auf das Land, in das sie im Urlaub reisen.

Ransmayr: Ja. Die Ferne ist zu einer Art Spielraum und Echoraum der eigenen Fantasie geworden. Das Land ist nur mehr eine Art Kulisse, für das, wonach man sich sehnt, was man mit paradiesischen Landschaften oder dergleichen assoziiert. Es gibt organisierte Programme, in denen man alles wohlgeordnet vorfindet. Das ist auch legitim und verständlich. Wenn jemand sagt, ich habe zwei Wochen, da kann ich gar keine eigenen Erfahrungen und Entdeckungen machen, dann ist das in Ordnung. Ich habe das auch praktiziert und in meinem Büchlein „Geständnisse eines Touristen“ beschrieben. Mit Reisen hat das trotzdem nichts zu tun. Ich verstehe darunter, dass man sich seine eigenen Routen sucht und sich Schwierigkeiten, auch der sogenannten Wildnis stellt.

Die Welt, wie sie uns, siehe die Ausstellung in der Nationalbibliothek, aus historischen Reise-Beschreibungen entgegentritt, ist oft nicht die Wirklichkeit, sondern durch geschönte Beschreibungen verfälscht. Ein Beispiel ist James Cook (1728-1779), der auf Hawaii von sogenannten „Wilden“ getötet wurde – die er und seine Mannen erst wild gemacht haben.

Ransmayr: Die Legende oder der Heroismus, der Cook umgibt, ist ein Mythos. Gerade auf seinen letzten Reisen hat er sich auf seltsame Art verwandelt. Wenn die sogenannten Eingeborenen sich nicht auf das Zusammenspiel von Herr und Knecht eingelassen haben, hat er sie zur Strafe verstümmeln lassen. Cooks Tod steht für die Reaktion der neuen Länder auf die Eroberer und ist eigentlich ein logisches Ende gewesen.

Auch heute gibt es in immer mehr Ländern zumindest Ressentiments gegen Touristen.

Ransmayr: Ich versuche, wenn ich unterwegs bin, mit den Leuten so gut es geht ins Gespräch zu kommen. Meistens habe ich einen Führer, der nicht nur übersetzt, sondern mir das Land nahe bringt. Fremde muss im übrigen nicht immer fern sein. In Österreich, in meiner engeren Heimat, gibt es unzählige Orte, die ich noch nie gesehen habe – und deren Exotik, Fremdheit sich vielleicht gar nicht so sehr von Orten unterscheidet, die 15 Flugstunden entfernt sind.

Arbeiten Sie wieder an einem Roman?

Ransmayr: Ich arbeite immer an einem Roman. Aber das ist auch so eine Reise in ein sehr unbekanntes Land. Erst im Verlauf des Weges beginne ich jeweils eine Vorstellung zu entwickeln, wohin ich fahre. Manche dieser Reisen werden auch abgebrochen. Erst in der Auseinandersetzung mit Themen stellt sich heraus, welches von ihnen man „heiraten“ wird, sprich: mit welchem Sujet man dann tatsächlich eine lange und wichtige Zeit seines Lebens verbringen möchte.

Viele Schriftsteller liefern jedes Jahr einen Roman. Ihr Verlag drängt sie nicht.

Ransmayr: Ich hätte nichts dagegen, wenn es mir gelänge, jedes Jahr einen Roman zu schreiben. Aber ich bin dazu zu umständlich. Es ist keine Frage der Entscheidung, sondern der Begrenzung meiner Fähigkeit. Mein Verlag S. Fischer lässt mich in Ruhe. Es gibt keinen Zwang, etwas zu liefern.

Ihr einziges Theaterstück „Die Unsichtbare“, 2001 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt, hat keine Fortsetzung gefunden.

Ransmayr: Doch. Ich habe wieder ein Stück geschrieben, das 2010, wenn das Ruhrgebiet EU-Kulturhauptstadt wird, zur Uraufführung kommt. Sechs Theater haben sich da zusammengeschlossen, es werden Stücke von sechs verschiedenen Autoren aus sechs verschiedenen Ländern gezeigt. Das Thema ist die Odyssee, Ich habe mich für die Heimkehr des Odysseus entschieden. Das Stück erscheint zu Jahresende bei S. Fischer, die Uraufführung ist im Februar 2010.

Odysseus ist eine ziemlich ambivalente Figur: Ein Intrigant und Herumtreiber...

Ransmayr: Mein Stück heißt „Odysseus Verbrecher“. Es geht aber u. a. auch darum, was geschieht, wenn jemand nach langer Zeit zurückkehrt und voll empörter Enttäuschung feststellen muss, dass die Welt nicht mehr so ist, wie er sie verlassen hat.

KURZ-BIO & AUSSTELLUNG

Christoph Ransmayr (55), in Wels geboren, lernte die „weite Welt“ zunächst im Lesesaal der Nationalbibliothek kennen, bevor er ausgedehnte Reisen nach Asien, Amerika, Irland unternahm. Bücher: „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“, „Die letzte Welt“, „Morbus Kitahara“.

„Annäherungen an die Ferne“ ist in der Nationalbibliothek bis 8.11.09 zu sehen. Di–So: 10–18h, Do: 10–21h; Eintritt: 7Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2009)

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