Die unerträgliche Leichtigkeit der Krise

Muss erst ein Land pleitegehen, damit Regierungen – wie die griechische – erkennen, dass sie gemeinsame europäische Verantwortung tragen?

Yanis Varoufakis, der griechische Finanzminister, absolvierte am Montag in Brüssel einen seiner bekannten Auftritte: Er stieg in den Ring mit seinem deutschen Amtskollegen, Wolfgang Schäuble, und den restlichen Europartnern. Es wurde zum gefühlt hundertsten Mal doziert, gepoltert und ohne essenzielles Ergebnis ein neuerliches Treffen vereinbart. Die Griechenland-Krise hat eine unerträgliche Leichtigkeit erlangt. Daran änderten auch die sichtlich bemühten Staats- und Regierungschefs nichts, die sich Montagabend in die Beratungen einschalteten und versuchten, Optimismus zu verbreiten.

Es ist wie die Aufführung eines absurden Stückes: Während Menschen in Griechenland um ihr Erspartes fürchten, während die Bevölkerung der Euroländer gebannt auf ein Ergebnis im Schuldenstreit blickt, betreiben Politiker – allen voran Varoufakis – ihr Spiel. Es ist ein Spiel, das nationale Wahlergebnisse, nationale Stimmungen einkalkuliert, nicht aber die realen Folgen für die Gemeinschaft der Euroländer. Man fragt sich: Muss erst ein Land pleitegehen, damit solche Regierungen erkennen, dass sie gemeinsame europäische Verantwortung tragen?

Wäre das eine Theatervorstellung, würde wohl niemand dafür Eintritt bezahlen. So schlicht ist das Opfergefühl, das derzeit in Athen produziert wird. Reflexartig werden eigene Fehler verdrängt und die Auswirkungen des Sparkurses auf jene Länder geschoben, die mit günstigen Krediten ausgeholfen haben. So schlicht freilich ist auch die deutsche Überheblichkeit, die davon ausgeht, dass einzig und allein das Modell der expandierenden Exportwirtschaft und der niedergedrückten Löhne nachhaltigen Erfolg garantiert.

Es mag ideologische, wirtschaftspolitische Unterschiede in den Vorstellungen der Euro-Regierungen geben. Sie haben aber gemeinsam die verdammte Pflicht, diese unsere Währung stabil zu halten. In den vergangenen Wochen taten sie das nicht. Es ist unverantwortlich, nach so viel verlorener Zeit noch immer zu pokern, sich in Millimeterschritten aufeinander zu- und voneinander wegzubewegen. Die einen in Athen spielen bewusst mit der Angst vor einem Auseinanderbrechen des Euro, die anderen in Brüssel und Frankfurt spielen mit taktischen und währungspolitischen Manövern, die Griechenland gerade noch am Rand der Zahlungsfähigkeit halten. Gemeinsam untergraben sie die Glaubwürdigkeit einer Währungsunion, die eigentlich den Binnenmarkt, die Grundlage unseres europäischen Wohlstands, zusammenschweißen sollte.

Selbst jene, die das Geschehen täglich verfolgten, fragen sich: Was war echt, was nur ein Trugbild? Waren die griechischen Verhandler wirklich so unvorbereitet und so naiv, ihre Vorschläge entweder ohne Übersetzungen oder ohne konkrete Inhalte vorzulegen? Waren die Kreditgeber wirklich so beinhart, dass sie Einschnitte bei den Ärmsten der Armen forderten, Medikamente verteuern und Mindestpensionen kürzen wollten? Oder ging es – wie in Verhandlungen mit einem überschuldeten Land üblich – um einen Rahmen notwendiger Einsparungen, der selbstverständlich auch auf soziale Gegebenheiten Rücksicht nehmen muss?

Wenig ist gesichert, wenig ist klar. Nur eines: Hier ging es allen Seiten nicht nur um eine gute Lösung. Es ging um Eitelkeiten, Wahltaktik und öffentlich ausgetragene Rivalitäten.


Müssen die Menschen vor verschlossenen Banken stehen? Muss der Leidensdruck so groß sein, damit sämtliche Euro-Regierungen endlich aufwachen und erkennen, dass es um mehr geht als um den Applaus einer ideologisch aufgestachelten Klientel? Auch Yanis Varoufakis ist nicht nur griechischer Politiker, sondern auch europäischer. Er ist als einer der 19 Minister in der Euro-Gruppe (Euro-Finanzminister) nicht nur seinen Wählern verantwortlich, sondern auch den Menschen in Deutschland, Italien und Österreich. Er mag auch dazu nur grinsen.

Es heißt, es gibt Hoffnung. Es heißt, sie haben sich bewegt. Es heißt, sie haben noch ein paar Tage Zeit. Das Schlimmste an dieser Geschichte ist, es vermag sie kaum noch jemand ernst zu nehmen.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2015)

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