Wimbledon: Federers liebster Spielplatz

BRITAIN TENNIS WIMBLEDON 2015 GRAND SLAM
BRITAIN TENNIS WIMBLEDON 2015 GRAND SLAM(c) APA/EPA/PETER KLAUNZER (PETER KLAUNZER)
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Wimbledon hält für Roger Federer die größte Chance bereit, seiner Grand-Slam-Sammlung doch noch einen 18. Titel hinzuzufügen.

Roger Federer ist erleichtert. Jedes Jahr, wenn er im Juni die Sandplatzschuhe gegen jene für den Rasen tauscht, breitet sich umgehend ein Wohlgefühl aus. Die Beziehung des Schweizers zum mitunter nicht immer ganz sattgrünen Untergrund ist eine spezielle, beruhend auf großen Erfolgen. 1998, Federer war ein junger Bursche mit 16 Jahren, gewann er die Juniorenbewerbe von Wimbledon in Einzel und Doppel. Es war der Beginn einer innigen Liebe, einer besonderen Beziehung. Mittlerweile sind 17 Jahre vergangen, Federer ist ein Weltstar und siebenfacher Wimbledon-Champion. Ebenfalls sieben Titel haben an der berühmten Londoner Church Road nur Pete Sampras und William Renshaw errungen. „Zurück auf Rasen. Ich lächle während des ganzen Trainings“, twitterte Federer, als er vor drei Wochen auf das geliebte Grün zurückkehrte. Den Sandplätzen dieser Welt weinte er in diesem Moment ganz bestimmt keine Träne nach. „Der Sand braucht mich nicht mehr“, hatte Federer bereits im Vorjahr nach seiner unerwartet frühen Niederlage bei den French Open gegen den Letten Ernests Gulbis erklärt.

Federer ist seit jeher ein Freund des Rasentennis. Der Grund liegt in der Genetik seines Spiels, es ist schlichtweg prädestiniert dafür. Sein zügiger und variantenreicher Aufschlag, der offensiv wie defensiv einsetzbare Rückhand-Slice, dazu die wuchtige Vorhand und der gefühlvolle Volley. Abgerundet wird sein großes Repertoire mit der Antizipationsfähigkeit und dem Wissen, speziell auf Rasen auffällig häufig die richtigen Entscheidungen zu treffen. „Auf Sand umfasst ein Ballwechsel oft 25 Schläge, auf Rasen sind sie viel kürzer. Es kommt auf einen starken Passierball hier oder einen tollen Return dort an“, erklärt Federer, der sich über die Jahre zu einem echten Spezialisten entwickelte. Zwischen 2003 und 2008 gewann er auf Rasen 65 Matches und zehn Turniere in Folge, je fünf in Wimbledon und Halle. Federer galt nicht nur als unschlagbar, er war es auch.

Ex-Profi und nunmehr Österreichs Daviscup-Kapitän Stefan Koubek hat mit dem Basler seine eigenen Erfahrungen auf Rasen gemacht. In der zweiten Runde von Wimbledon 2003 führte Koubek mit 5:3 im ersten Satz, danach glückten ihm nur noch zwei Spielgewinne. Das ernüchternde Ergebnis: 5:7, 1:6, 1:6. „Den ersten Satz hätte ich gewinnen müssen“, erinnert sich der Kärntner, „aber bei 5:3 ist der Arm schwer geworden.“ Keine zwei Wochen später gewann Federer erstmals in Wimbledon, es war der Beginn einer Ära. „Sein Spiel ist für diesen Belag einfach perfekt“, sagt Koubek, auf den selbiges nicht zutraf. „Ich musste den Rasen erst lieben lernen, wusste am Anfang gar nicht, was ich tun soll.“


Londoner Liebe. Im Fall Federer scheinen sämtliche Schlag- und Bewegungsabläufe völlig natürlich, die Leichtigkeit des Spielens kommt so noch deutlicher zum Vorschein. In Wimbledon umgibt „King Roger“ ohnehin eine ganz spezielle Aura. Er schätzt dieses Turnier wie kein anderes, verbindet unzählige Glücksmomente damit. Auf die Frage, wo er denn am liebsten nochmals triumphieren würde, antwortete Federer vor wenigen Monaten wenig überraschend: „Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich Wimbledon wählen. Ich liebe es, dort zu gewinnen.“ Für den 33-Jährigen sind die gegenwärtigen Wochen „das absolute Highlight und die schönste Zeit des Jahres“, dabei spielt Federer traditionell immer nur zwei Turniere auf Rasen. Jenes in Halle dient stets als Vorbereitung auf Wimbledon. Oft lief er schon dort zur Höchstform auf, wie auch dieses Jahr, als er das Turnier in Westfalen zum bereits achten Mal gewinnen konnte.

Federers biologische Uhr tickt. In sechs Wochen feiert er seinen 34. Geburtstag, sein mittlerweile auf Rang zehn der Weltrangliste zurückgefallener Dauerrivale Rafael Nadal ist knapp fünf Jahre, Novak Djoković und Andy Murray sind gar sechs Jahre jünger. Außerdem drängt der Nachwuchs rund um den Japaner Kei Nishikori (Nr. 5/25 Jahre) und den Kanadier Milos Raonic (Nr. 8/24 Jahre) an die Spitze.

Doch mit den Grashalmen sprießt auch die Zuversicht des Eidgenossen. Wimbledon, das ist sein Wohnzimmer, wenngleich er den Centre Court zuletzt 2012 ungeschlagen verlassen hatte. 2013 setzte es in der zweiten Runde eine herbe Enttäuschung gegen den Ukrainer Sergej Stachowski, im Vorjahr bäumte sich im Endspiel Djoković unüberwindbar vor ihm auf. Vor drei Jahren fügte der „Maestro“ seiner Grand-Slam-Sammlung Titel Nummer 17 hinzu, es sollte der bis dato letzte bleiben. Die Zeit, sie läuft gegen Federer, der versichert: „Ich habe es noch in mir.“


Schweizer Träume. Nach der Auslosung am Freitag dürfte Federers Optimismus noch ein Stück weit zugenommen haben. Sein Auftaktgegner, der Bosnier Damir Džumhur, dürfte als besserer Trainingspartner dienen. Der erste Kontrahent aus den Top Ten könnte mit Tomáš Berdych erst im Viertelfinale warten, im Halbfinale winkt ein Duell mit Murray oder Nadal.

Doch Federer hält nichts davon, zu weit nach vorn zu blicken. Spätestens seit der Niederlage gegen Stachowski vor zwei Jahren, als er regelrecht vom Platz serviert wurde. „Die Gefahr, als haushoher Favorit zu verlieren, ist groß, weil oft nur ein paar Schläge den Unterschied ausmachen. Auf den schnelleren Plätzen wie in Wimbledon rücken alle Spieler enger zusammen, auf Sand ist die Spannweite größer“, erklärt Federer, der den Schweizer Boulevard träumen lässt.

„Traumlos für Wimbledon: Federer und Wawrinka treffen erst im Finale aufeinander“, titelte der „Blick“ nach der Auslosung. French-Open-Champion Stan Wawrinka wurde in die obere Tableauhälfte von Titelverteidiger Djoković gelost, er hatte den Serben erst unlängst im Finale von Paris niedergerungen. Ein Endspiel zwischen den beiden Schweizern wäre für beide Beteiligten tatsächlich eine traumhafte Vorstellung, verbindet Federer und Wawrinka doch nicht nur eine Freundschaft, sondern auch der gemeinsame Gewinn des Daviscups und Olympia-Golds im Doppel. Doch bis zum Finale am 12. Juli fehlen beiden Akteuren noch jeweils sechs Siege. Federer kann den ersten Aufschlag kaum erwarten: „Ich fühle mich sicher, fit und wohl.“

Fakten

Roger Federer (33) hält bei sieben Wimbledon-Siegen und damit bei gleich vielen Erfolgen wie Pete Sampras (USA) und William Renshaw (GBR).

17 Grand-Slam-Titel hat der Schweizer in seiner Karriere gewonnen, den bislang letzten 2012 in Wimbledon. Auf Rang zwei der Bestenliste folgen Sampras und Rafael Nadal mit jeweils 14 Triumphen.

Österreich ist bei dem am Montag mit dem Hauptbewerb beginnenden Turnier im Einzel durch Dominic Thiem (gegen Dudi Sela/ISR), Andreas Haider-Maurer (Ričardas Berankis/LTU) und Tamira Paszek (Casey Dellacqua/AUS) vertreten.

Sky überträgt auf fünf Kanälen über 350 Stunden live aus Wimbledon. Im frei empfangbaren Stream zeigt Sky unter sky.at/wimbledon täglich (13 bis 20 Uhr)
ebenfalls Live-Tennis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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