Perchtoldsdorf: Frust und Fun auf der Insel

(c) Lalo Jodlbauer
  • Drucken

Intendant Michael Sturminger inszenierte Shakespeare fantasievoll, aber mit einigen Längen. Überraschung: Mit seinem Kampf gegen Prospero hat Caliban recht.

Shakespeares wahrscheinlich letztes Schauspiel „Der Sturm“ ist überschattet von Übervater Prospero, den große Darsteller von John Gielgud bis Gert Voss prägten. Auf der Bühne hinter der Burg Perchtoldsdorf, deren Intendanz der Schauspiel- und Musiktheater-Regisseur Michael Sturminger übernahm, lässt sich der Inselkönig seine langen Haare auf Lockenwickler stecken, ein sonderbarer Regiegag für das Plakat, wo ebenfalls dieses Bild zu sehen ist?

Nein. Prospero (laut: Andreas Patton) ist ein Hippie, Bücherwurm und Narziss, unberechenbar, cholerisch, chaotisch. Vielleicht hat ihn sein Bruder zu Recht aus der Staatsführung entfernt – und auf dem Meer ausgesetzt. Vermutlich zum 100. Mal erzählt Prospero seiner Tochter Miranda die Geschichte von ihrer Vertreibung und wundersamen Rettung, sie kennt sie schon in- und auswendig und echot sie wie ein Kind, das die Ermahnungen seiner Eltern nerven.

1968er-Diva in der Wildnis

Auch mancher Zuschauer schien irritiert. Der Beginn der Aufführung ist zäh. Prospero redet und redet, er ist die typische 1968er-Diva, die immer recht haben muss: „Hör mir jetzt zu! Hörst du mir auch zu?“ Selbst am Ende der Welt achtet dieser Egomane auf die kongeniale Selbstinszenierung: Mantel mit unbeschnittenen Tierfellen überm Batik-Schurz. Es könnte ja wer kommen – und siehe da, es kommt auch wer! Höchste Zeit, der Frust fraß die Insulaner schon fast auf.

Minutenlang toben Nebel und Sturm auf dem Abenteuerspielplatz dieser Aufführung mit Baumhaus, Sandstrand und Feuerstelle, bevor die Überlebenden des Schiffsunglücks langsam an Land kriechen. Sie sind weniger verzaubert als traumatisiert: Der König von Neapel ist eine Königin und sieht Elizabeth der I. oder ihrer Rivalin Maria Stuart ähnlich. Dem braven alten Rat Gonzalo fällt gleich eine Utopie ein, in der allen alles gehört, es keine Waffen und Grenzzäune gibt – allerdings auch keine Wissenschaft. Die Bösewichte Antonio und Sebastian spinnen, kaum dem Tod entronnen, sofort wieder Ränke. Die zwei Trunkenbolde haben immerhin eine Kiste mit Weinflaschen gerettet.

Die beiden Geister sind Frauen, Nadine Zeintl als gespenstisch phosphoreszierender Elf Ariel wirkt müde und leicht sauer von der Fron bei Prospero. Auch Caliban, der böse Sohn einer Hexe, der alle Kräuter, Früchte, die Natur der Insel und die Musik des Waldes kennt, ist ein zartes Persönchen: Am Ende wird er seinen Peiniger Prospero anfallen, denn dieser Caliban hat recht. Prospero ist auch bloß einer von den Kolonialisten, die sich wichtig machen – und alles kaputt: Veronika Glatzner, kaum kenntlich in ihrer lehmfarben-goldschimmernden Kostümierung – ist die spannendste Figur des Abends.

Die bezauberndste ist Aaron Friesz als Ferdinand, der Sohn der Königin von Neapel, der sich in Prosperos Tochter Miranda verliebt – und sie in ihn. Doch der Papa lässt den zarten Jüngling Holz hacken, eine Slapstick-Nummer, die Scheite sind zu klein oder zu groß, das Beil bleibt im Block stecken und das Publikum, gerade von der Pause zurückgekehrt, feuert den Burschen an. Ein Glück, in der Ehe mit der eher maskulin angelegten Miranda, die zwar im rosafarbenen Tüllkleidchen Papas Prinzessin spielt, aber mit ihrem Händedruck jedermann zu Boden reißt, wird Softie Ferdi nicht allzu viel anpacken müssen: Ob Josephine Bloéb begabt ist, lässt sich nicht recht sagen, weil ihr Gesicht meist von ihrer Haarmähne verdeckt ist. Friesz und Bloéb erfreuen als Liebespaar jedenfalls.

Melodiöses Sprachgemisch, feine Musik

Der erste Teil des Abends bietet etwas viel billigen Spaß, der zweite ist großartig, wenn das Geschehen ins Unheimliche kippt und alle vorübergehend den Verstand verlieren.

Ohne platte Aktualisierungen hat es Sturminger geschafft, bei diesem „Sturm“ schwer überbrückbare Gegensätze zwischen „Erster“ und „Dritter“ Welt deutlich zu machen. Auch mischt er deutschen Text mit Shakespeares melodiösem Englisch. B. K. Tragelehns Übertragung ist klarer als jene Schlegels – dessen gewundene, glättende Übersetzungen aus dem Schulunterricht entfernt werden sollten. Viel zur dichten Atmosphäre dieser originellen, insgesamt gelungenen Aufführung tragen die Pogo Purcell Sisters bei – mit ihrer Mischung aus Pop, Raumklang und Renaissance-Musik. Lob verdient das Programmheft, das kundig Shakespeares Welt beleuchtet, mit Verweisen auf Da Vinci, Marlowe, Montaigne oder Klaus Theweleits „Pocahontas-Komplex“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.