Der Whiskyräuber von Budapest

Mann mit Handschellen - man in handcuffs
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Der Ungar Attila Ambrus erbeutete in sechs Jahren durch Bankraub mehrere Millionen Forint. Davor trank er stets einen Whisky – und fuhr danach mit dem Taxi vom Tatort.

Es ist der 22. Jänner 1993. In Budapest ist es an diesem Tag klirrend kalt. Ein junger Mann Mitte zwanzig sitzt an einem der Tische in einer Kneipe an der Villányi-Straße im XI. Bezirk. Vor ihm steht ein Glas Whisky – er will sich Mut antrinken. Die Nacht zuvor hat er „vor Aufregung gekotzt“ und „Dünnschiss gehabt“. Der Mann ist im Begriff, seinen ersten Raubüberfall zu verüben. Sein Ziel: das Postamt an der Villányi-Straße auszurauben. Kurze Zeit später ist er um 548.000 Forint reicher. Mehr als 22 Jahre später sitzt Attila Ambrus wieder in einer Kneipe, wieder steht ein Glas Whisky vor ihm. Ambrus hat kurz geschorene Haare und einen Schnurrbart à la Lech Wałęsa. Seine Gestalt ist drahtig, in seinen Augen ist ein spitzbübischer Glanz. Um den Hals trägt er einen Mahlzahn eines transsilvanischen Bären.

Ambrus raubte zwischen 1993 und 1999 knapp 30 Postämter und Banken aus – wobei er in den meisten Fällen ein Taxi benutzte. Ja, ein Taxi. Wie er bei seinen Raubzügen genau vorging, verrät er bis heute nicht. Der heute 47-Jährige setzt nur ein schelmisches Lächeln auf und sagt: „Ich will keine Anhaltspunkte geben, damit ich nicht andere zu einem Bankraub verleite.“ Was die Ermittler damals aber nach jedem Bank- und Postraub herausfanden: Der Bankräuber saß in allen Fällen in einer nahe gelegenen Kneipe, um vor der Tat einen Whisky zu trinken. Ambrus, der der Polizei immer um einen Schritt voraus war, wurde in Ungarn rasch zu einem Star. Fast das gesamte Land drückte dem „Whisky-Bankräuber“ („Viszkis“) die Daumen. Es wurde sogar eine Internetfanseite für ihn eingerichtet.

Zur lebenden Legende wurde Attila Ambrus nicht zuletzt auch deshalb, weil er einzelne Banken wie jene an der Grassalkovich-Straße im XXIII. Bezirk von Budapest sogar mehrmals ausraubte. In einem der Geldinstitute, die er zum wiederholten Mal überfallen hatte, habe ihm ein Bankangestellter auf die Frage nach dem Haupttresor einmal geantwortet: „Sie wissen ja schon, wo's lang geht.“ Ja, es kam sogar vor, dass er mit seinem Komplizen an einem Tag zweimal auf Raubzug ging, „am frühen Nachmittag eine Bank und kurz vor Ladenschluss ein Postamt“.

Ambrus, der als Eishockey-Tormann für den Budapester Traditionsverein Újpesti TE im Tor stand, erbeutete in sechs Jahren nicht weniger als 140 Millionen Forint. Wofür er das Geld ausgab? „Nutten, Dolce Vita und Reisen.“ Er habe damals aber auch eine Lebensgefährtin „aus gutem Haus“ gehabt, die Hochzeit war geplant. Um sie und ihre Familie zu beeindrucken, benötigte er Geld, „viel Geld“.


Im Clinch. Er habe es schon als Kind „faustdick hinter den Ohren“ gehabt, sagt Ambrus. Im rumänischen Siebenbürgen ohne Mutter aufgewachsen, die die Familie wegen ihres „unersättlichen Hungers auf Männer“ verlassen hatte, plünderte Ministrant Ambrus als Neunjähriger die örtliche Sakristei zu Ostern und tat sich an Messwein und Oblaten gütlich. Der Pfarrer und die Kirchengemeinde waren davon nicht sonderlich begeistert.

Da er „mit der Welt im Clinch“ war und allenthalben als renitent galt, kam er in mehrere Erziehungsanstalten, eine davon „im tiefsten Rumänien“. Das sei für einen Angehörigen der ungarischen Minderheit wie ihn eine „beinharte Schule“ gewesen. 1988, als 21-Jähriger, flüchtete er schließlich aus dem stalinistischen Schreckenssystem unter Diktator Nicolae Ceauşescu nach Ungarn. Auch diese Flucht war abenteuerlich: Er klammerte sich an der Unterseite eines Güterzuges fest und konnte so die Grenze passieren. Nach seiner Flucht aus Rumänien verdingte sich Ambrus als Händler von rumänischen Bärenfellen, die er unter anderem auch in Österreich an den Mann brachte. Außerdem spielte er professionell Eishockey. Da das Geld für seinen „aufwendigen Lebenswandel“ aber nicht reichte und er „es allen stets beweisen wollte“, entschloss er sich, nach einem ausgeklügelten Plan Postämter, Banken und Reisebüros auszurauben. „Und die Sache ging verdammt noch mal auf“, sagt er und kippt seinen vierten Whisky hinunter.

Routine war schuld. Warum er schließlich gefasst worden sei? „Die Routine, die verdammte Routine“ mache den Menschen bequem und verleite ihn zu Fehlern. Es sei wie in einer Paarbeziehung: „Wird die Sache zur Gewohnheit, verlässt dich jede Frau.“ Er sei von einem Komplizen verpfiffen worden, den die Polizei bei einem Banküberfall festnehmen konnte. „Ich hätte wissen müssen, dass der Typ nicht vertrauenswürdig ist, aber ich war auf einen Kumpan angewiesen“, sagt er heute. Einem anderen Komplizen sei während eines Bankraubs „schlecht geworden“. Ambrus: „Wir konnten damals mit knapper Not fliehen, fast wäre die Sache ins Auge gegangen.“

Die atemberaubende Geschichte des Whisky-Bankräubers ist hier aber noch immer nicht zu Ende. Denn Ambrus konnte aus der Untersuchungshaft ausbrechen. „Zuerst wollte ich mich mit einem Schraubenzieher und einem Taschenmesser durch die Wand meiner Zelle durchgraben, weil ich merkte, dass die Wände porös waren.“ Nach etwa zehn Zentimetern sei an einer massiven Ziegelwand jedoch Endstation gewesen. Er heckte einen neuen Fluchtplan aus: „Ich habe dreimal einen Vorwand gesucht, Zahnarzt und ähnliche Geschichten, um aus meiner Zelle geführt zu werden.“ Er nutzte diese seltenen Momente, um sich ein genaues Bild von der Haftanstalt in der Gyorskocsi-Straße in Budapest zu machen. Die Flucht gelang ihm, indem er sich bei einem Gang durch den Flur von den Wärtern losriss, sich aus dem nächstgelegenen Fenster stürzte und mithilfe von Leintüchern abseilte.

Nachholen der Matura. Nachdem es der Polizei gelungen war, ihn wieder festzunehmen, wurde er 2002 schließlich zu 17 Jahren Haft verurteilt. Während der langen Jahre im Gefängnis legte er die Matura ab und schloss danach sowohl eine Ausbildung zum Journalisten als auch zum Keramiker ab, seinem heutigen Broterwerb. Auch im „Knast“ habe er viel erlebt, etwa die „Geschäfte der Mafia“ unter den Augen der Wärter und der Gefängnisführung. Er hätte es auch mit einem romafeindlichen Gefängnisdirektor zu tun gehabt, der ihm mitteilte: „Wenn du ein paar Zigeuner kaltstellst, lasse ich dich an der Hintertür raus.“ Ambrus denkt, dass auch viele ungarische Richter romafeindlich sind: „Hast du eine dunkle Hautfarbe, kriegst du automatisch zwei Jahre mehr.“

Wie er sagt, haben ihn die insgesamt dreizehn Jahre im Gefängnis – Ambrus wurde im Jänner 2012 wegen guter Führung auf freien Fuß gelassen– sehr geprägt. „Der Lauf des Lebens ist an mir in dieser Zeit vorbeigegangen.“ Mit Smartphones und Flachbildfernsehern könne er aus diesem Grund nichts anfangen. Er betrachtet den Menschen des 21.Jahrhunderts als Roboter, dessen Welt „völlig eingeengt“ sei. „Wir reißen heute im Internet Weiber auf und schließen dort auch Freundschaften und Bekanntschaften. Verrückt!“ Noch dazu stünden die Menschen durch die Mobiltelefone unter „totaler Kontrolle“. Die ganze Situation erinnere ihn irgendwie an den Roman „1984“ von George Orwell, den er im Gefängnis gelesen habe.

Verrückt sei auch, dass seine Bankraubserie, auf die er heute nicht mehr im Geringsten stolz sei, an die große Glocke gehängt wurde. „Politiker veruntreuen Tag für Tag Milliarden an Steuergeldern, und ich, der Whisky-Bankräuber, vergammelte jahrelang im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses, da stimmt doch verdammt noch mal was nicht!“ Es werde mit zweierlei Maß gemessen. Nach dem fünften oder sechsten Whisky macht sich Attila Ambrus auf. Um zu seiner „Braut“ (Ambrus heiratet im Herbst) in den unweit von Budapest gelegenen Ort Dunaharaszti zu fahren– natürlich mit dem Auto.

Steckbrief

Am 22. Jänner 1993
verübte Attila Ambrus seinen ersten Bankraub. Ihm sollte viele weitere folgen. Insgesamt erbeutete er bei seinen Raubzügen an die 140Millionen Forint.

2002 wurde er gefasst und zu 17 Jahren Haft verurteilt. Wegen guter Führung wurde der heute 47-Jährige im Jänner 2012 frühzeitig entlassen. Heute lebt er wieder in Budapest und plant seine Heirat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2015)

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