Aleksandar Hemon: "Hoffnung ist Amerikas falsches Versprechen"

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Der bosnisch-amerikanische Schriftsteller Aleksandar Hemon erntet in den USA stürmisches Lob und Vergleiche mit Wladimir Nabokov. Im Gespräch mit der "Presse" erklärt er, wieso ihn die Superhelden-Manie der Amerikaner so erzürnt.

Um Haaresbreite ist Aleksandar Hemon der blutigen Belagerung Sarajewos entgangen. Am 2. Mai 1992 schlossen die bosnisch-serbischen Truppen ihren eisernen Ring um die Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas. Am Tag davor hätte der damals 27-jährige Journalist und Literaturwissenschaftler Hemon, nach dreimonatigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten auf Einladung des US-Außenministeriums, von Chicago aus nach Hause fliegen sollen. Seine Eltern rieten ihm, drüben zu bleiben. Eine schicksalshafte Entscheidung, die Hemon über harte Jahre der Armut als Tellewäscher, Sandwichzubereiter, Fahrradbote und Greenpeace-Spendenkeiler auf den Pfad einer literarischen Karriere führte, die bisher ein halbes Dutzend durchwegs hoch gelobter Bände sowie die Stellung als einer der interessantesten amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart brachte.

Hemon, der im vergangenen Jahr 50 Jahre alt geworden ist und mit seiner amerikanischen Frau sowie zwei kleinen Töchtern in Chicago lebt, wird von der Literaturkritik immer und immer wieder mit dem amerikanisch-russischen Giganten Wladimir Nabokov gleichgesetzt. Sind solche Vergleiche aber ehrlich? Oder sucht die Verlagsindustrie nicht vielmehr bloß nach einem Etikett für einen Autor aus einem fernen, den Amerikanern fremden Land? „Ich war natürlich geschmeichelt von diesem Vergleich, und ich liebe Nabokov“, sagt Hemon im Gespräch mit der „Presse“. „Aber ich zögere damit, mich mit ihm zu vergleichen. Er hat 40 Bücher in zwei Sprachen geschrieben. Wenn ich eines Tages so viele Bücher verfasst haben werde, was ich bezweifle, können wir das auf ein Neues diskutieren.“

Hemons neuer Roman, sein zweiter nach einer Reihe von Kurzgeschichtensammlungen und dem im Vorjahr erschienen autobiografischen Werk „The Book of my Lives“, trägt den Titel „The Making of Zombie Wars“ (Farrar, Straus and Giroux), aber um die nach menschlichen Hirnen gröhlenden lebenden Untoten, die seit einigen Jahren der amerikanischen Film- und Fernsehindustrie üppige Gewinne einbringen, geht es in diesem Buch nur peripher. „Ich interessiere mich nicht besonders für Zombies an sich. Ich habe sie für diesen Roman bloß gewählt, um die Handlung zu strukturieren und um über andere Dinge zu schreiben, die mir wichtig sind.“ Konkret: die Selbstlügen, in denen es sich die amerikanische Gesellschaft wattig-weich bequem gemacht hat. „In Amerika kann man ein relativ privilegiertes Leben führen. Ich wollte das in meinem Roman auseinander nehmen und sehen, was dann passiert, welcher Wahnsinn ausbricht, wenn so ein privilegiertes Leben aufhört. Auf einer gewissen Ebene ist das wie vor dem 11. September 2001: diese Zuversicht, dass wir den Kalten Krieg gewonnen haben und jetzt die Welt beherrschen werden. Alles war eine warme Decke. Dann passierte 9/11. Und eine Menge Amerikaner verloren komplett ihren Verstand, auch im Weißen Haus.“

Und so lässt Hemon seinen Helden, den verkrachten Drehbuchschreiber Joshua Levin, zwischen einer verhängnisvollen Affäre mit einer schönen bosnischen Einwandererin, seiner standesgemäß präsentablen Beziehung zu einer japanischstämmigen Kinderpsychologin, regelmäßigen Wohnungseinbrüchen seines im ersten Irakkrieg offenkundig die Grenze zum Wahnsinn überschritten habenden Vermieters und der eigenen komplizierten jüdischen Familienkiste Kapitel für Kapitel immer mehr den Boden unter den Füßen verlieren.

Ganze Armeen von Superhelden!

Das ist sehr witzig und treffend geschrieben, doch hinter Hemons Humor blitzt immer wieder der zornige Groll über seine erwählte neue Heimat auf. „ Das Wort Hoffnung ist wie Maissirup in diesem Land: es ist billig, überall erhältlich, ohne Inhalt und möglicherweise giftig. Ich kann diese billigen Begriffe wie Hoffnung, Freiheit, gleiche Chancen nicht mehr ertragen, die bloß von Präsidenten wie am Fließband produziert werden. Ich kann mich nicht einmal darüber aufregen. Hoffnung ist ein falsches Versprechen von Amerika. Es ist mir ein Rätsel, wie sich die Leute noch immer daran klammern.“ Man fliehe kollektiv in die Hollywoodwelt. „Das ist völlig wahnhaft, wie die Fantasie, eine Supermacht zu sein. Die Invasion im Irak hat diese Fantasie gründlich beendet. Und so ist sie ins Reich der Populärkultur übertragen worden. Deshalb haben wir jetzt Filme über Superhelden, über Gruppen von Superhelden, ganze Armeen von Superhelden.“ Wenn der Präsident von Amerika die Welt schon nicht retten kann, dann soll es wenigstens Captain America im Kino tun – am besten in Zusammenarbeit mit Spiderman, Superman und Batman.

Hemon will seinen Zorn über die Lage der Dinge in seiner Wahlheimat aber nicht als Antiamerikanismus verstanden wissen: „Amerika ist viele Dinge. Ich bin verärgert über die politischen und kapitalistischen Strukturen, das Gefühl von Privilegiertheit, das dazu führt, das man eine Nation in eine fatalen Krieg führt. Früher war ich über die Strukturen in Jugoslawien verärgert. Aber Amerika ist auch die Stadt Chicago, meine Nachbarn, meine Freunde, meine Frau, meine Kinder, und viele große Künstler. Ich bin selber Amerikaner – ich will es sein, das war meine bewusste Wahl. Ich will Amerikaner sein, damit Amerika nicht auf George W. Bush und Leute in Washington und die Gier reduziert wird. Zumindest ein winziges Gegengewicht möchte ich sein.“

Der Zustand seiner alten Heimat gibt Hemon wenig Grund zur Hoffnung: „Ich habe keine Nostalgie für Jugoslawien, aber es gab eine winzige Chance, dass es einen Übergang zu einer stabilen Demokratie hätte geben können. Jugoslawien war schließlich eine relativ stabiles, wohlhabendes sozialistisches Land. Die Leute, die jetzt an der Macht sind, sind fast durchwegs Gauner und Diebe. Leider hat man nie die dritte Option, die Alternative zu Tito-Jugoslawien und zum gegenwärtigen Zustand. Die große Katastrophe Bosnien-Herzegowinas ist das Vergessen. Es wird so viel Energie dafür verwendet, so zu tun, als sei nichts passiert.“

ZUR PERSON

Aleksandar Hemon (geboren am 9. September 1964 in Sarajewo) war 1992 im Rahmen eines Kulturprogramms in den USA, als die Belagerung seiner Heimatstadt begann. Er blieb in Chicago, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch und begann, auf Englisch zu schreiben. Sein erster Roman „The Lazarus Project“ kam 2008 ins Finale des National Book Award. Sein neuer Roman „The Making of Zombie Wars“ kam heuer heraus und wird von der Kritik hoch gelobt. [ Random House/Nina Subin]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2015)

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