Ankerbrot-Fabrik: Reise in die Kindheit

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anker(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Teile der historischen Ankerbrot-Fabrik werden zu einer Künstlerkolonie umfunktioniert. Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny freut das – immerhin hat er sehr persönliche Erinnerungen an das alte Backsteingebäude.

Die alte Ankerbrot-Bäckerei in Favoriten kann man nicht „überriechen“. Je nach Tageszeit und Windrichtung schwebt ein – meist durchaus angenehmer – Geruch von frischem Brot über dem Stadtteil Monte Laa und weist darauf hin, dass hier jene Wiener Traditionsfirma ihren Sitz hat, die einst als Europas größte Bäckerei galt.

Gebacken wird heute nur noch in einem Teil der historischen Fabriksanlage. Denn der andere Teil, rund ein Drittel des riesigen Gesamtareals, wurde vor einigen Wochen verkauft. Und der neue Eigentümer Walter Asmus hat Großes vor: Hier soll ein alternatives Kunst- und Kulturzentrum entstehen, das weit über das Grätzel hinausreicht. Die alten Backstuben und Produktionsräume werden derzeit umgebaut, renoviert, mit neuen Leitungen und Zugängen versehen. In den künftigen Lofts sollen Ateliers und Galerien entstehen, wo Künstler arbeiten und auch wohnen sollen: Maler, Fotografen, Schauspieler, Filmemacher etc. Die Nachfrage läuft gut, sagt Asmus, zehn fixe Käufer für die Lofts in der Größe von 300 bis 1000 Quadratmeter habe er bereits. Parallel dazu finden in der 2000 Quadratmeter großen Expedithalle Theater- und Musikaufführungen statt.

Damit könnte im zehnten Bezirk etwas entstehen, das an New York der Achtzigerjahre erinnert, oder auch an das Londoner East End. Oder an den Prenzlauer Berg in Berlin, wo Künstler und Studenten alte Fabriken umfunktionierten: in Künstlerkolonien.

Der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny sieht diese Pläne mit Wohlwollen. Es kann nicht schaden, wenn im bevölkerungsreichsten Bezirk Wiens, der mit Kultur nicht gerade gesegnet ist, eine Art Grätzelkultur entsteht.

Mailath-Pokorny hat aber noch einen anderen, sehr persönlichen Grund, sich zu freuen: Sein heute 86-jähriger Vater war in den Sechzigerjahren Generaldirektor bei Ankerbrot, und der Bub (Mailath-Pokorny ist Jahrgang 1959) war damals oft zu Besuch am Arbeitsplatz vom Papa. „Es ist sicher vierzig Jahre her, dass ich das letzte Mal hier war“, meint Mailath leicht nostalgisch, als er sich – gemeinsam mit der „Presse“ – das im Umbau befindliche künftige Kulturzentrum ansieht.

Und er erinnert sich: „Ja, genau hier habe ich meine erste Impfung bekommen,“ sagt er im früheren Zimmer des Betriebsarztes. Und beim Besuch im verstaubten Direktionsbüro fallen dem Stadtrat auch politische Details ein: „Mein Vater hat immer heftige Diskussionen mit den Gewerkschaften geführt.“ Lächelnd fügt er hinzu: „Eigentlich ein Wunder, dass ich Sozialdemokrat geworden bin.“

Derzeit ist in den staubigen, düsteren Räumen noch nicht viel von der künftigen Loft-City zu sehen. Bis 2010 sollen die Renovierungsarbeiten abgeschlossen sein. „Bis dahin nutzen wir jeden Winkel, um Kunstthemen zu forcieren“, sagt Asmus. So wurde für ein Filmporträt des österreichischen Malers Hannes Mlenek ein Raum mit einem großen Kunstwerk des Künstlers ausgemalt. In einem anderen Raum sollen Bilder des Malers Hans Staudacher gelagert werden. Eine entsprechend große Lagerstätte war bisher nicht gefunden worden.

Auch die Halle, in der einst die Fuhrwerke auf das Verladen warteten, wird kulturell genutzt. „Eine Spedition wollte hier Paletten lagern“, erzählt Asmus. Aber er habe die Halle lieber an Künstlergruppen vergeben. Gratis. Eine davon ist das Theatercombinat, die Shakespeares „Coriolan Review“ als politisches Tanztheater zeigt. Eine Aufführung gab es bereits Ende April; im November soll eine weitere folgen.

Schon in zwei Wochen soll die Ankerbrot-Halle zu einer Opernbühne werden. Das „sirene Operntheater“ wird an den neun Wochenenden vom 22. Mai bis 18. Juli einen ganzen Roman von Leo Perutz „Nacht unter der steinernen Brücke“ als neues Musiktheater aufführen. Neun Wiener Komponisten vertonen dabei den Roman in neun eigenständigen Episoden.

Für Mailath ist es besonders begrüßenswert, „dass private Räume von Gruppen künstlerisch erobert werden“. Auch für die Stadt ein gutes Modell: Die Künstlergruppen bekommen Förderungen für die Produktionen, in die Struktur ihrer Arbeit muss die Stadt aber kein Geld investieren.

Asmus will die Halle so lange selbst weiterführen, bis sich ein anderer privater Betreiber dafür interessiert. Er selbst verdient an Sanierung und Verkauf der Lofts. Und da er auch „kulturaffin“ ist, sei es ihm ein großes Anliegen, hier ein Zentrum für die Kreativwirtschaft zu schaffen. Ein Kaffeehaus und ein Restaurant sollen das Angebot abrunden.

Offen ist noch, was mit dem anderen Teil der Fabrik passiert, wo Ankerbrot noch bäckt. Ende 2008 lief nämlich der Pachtvertrag mit einem Bankenkonsortium ab; im Jänner gab es eine Räumungsklage. Die Stadt Wien hat einige Alternativstandorte angeboten, bis zum Sommer soll eine Lösung gefunden werden. Wenn Ankerbrot gänzlich draußen ist, wird ein städtebaulicher Wettbewerb gestartet.

Vor dem Ankerbrot-Gelände war auch ein Fußballplatz. Aber daran erinnert sich Mailath-Pokorny nicht so gern. „Das war in der Schulzeit der Platz einer vernichtenden Niederlage: Gegen die Ettenreichgasse haben wir 10:1 verloren.“ Er selbst, so erinnert er sich, habe aber das Ehrentor geschossen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2009)

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