Deutschland: Die Abstiegsängste des Horst Seehofer

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Die juristischen Schlappen beim Betreuungsgeld und der Pkw-Maut sind Symptome für den bundespolitischen Bedeutungsverlust der CSU. In Berlin spielt der Koalitionspartner eine untergeordnete Rolle.

Wien/München. Wenn die CSU im September den 100. Geburtstag ihres Übervaters Franz Josef Strauß mit Glanz und Gloria begehen wird, wird sie sich in München vor den Granden ihrer Schwesterpartei CDU von Kanzlerin Angela Merkel abwärts zu alter Größe aufplustern. Das sind die Christsozialen um Ministerpräsident Horst Seehofer ihrem Selbstverständnis und ihren bundespolitischen Ambitionen schuldig, die Strauß und sein einstiger Adlatus Edmund Stoiber in ihrem Machtbewusstsein verkörperten und nicht selten den Kanzler zur Verzweiflung trieben.

Als Seehofer im Juni beim G7-Gipfel in Schloss Elmau, dem idyllischen Herrgottswinkel in Oberbayern, als zweiter Gastgeber neben Merkel die Fixsterne der Weltpolitik empfing, war dies also ganz nach seinem Geschmack. Doch die Gipfelfotos mit dem CSU-Chef spiegeln ein Trugbild wider. Denn gerade in diesen Sommerwochen ist der nationale Anspruch der CSU geschrumpft wie ein Gletscher in der Sonne.

Als das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das Betreuungsgeld aus formalrechtlichen Gründen kippte, erlitt bereits das zweite Prestigeprojekt Seehofers nach der Pkw-Maut eine herbe juristische Schlappe. Der Ministerpräsident hatte die beiden Vorhaben als bajuwarische Vorzeigeprojekte im Wahlkampf lanciert, gegen die Skepsis der CDU-Parteifreunde, rechtliche Zweifel und den Widerstand des Koalitionspartners SPD in Berlin durchgeboxt – und steht nun blamiert da.

Bei der Klausurtagung am Tegernsee gab sich der Ministerpräsident gewohnt hemdsärmelig. Das Urteil der Karlsruher Richter wollte er partout nicht als Niederlage werten. Im Gegenteil: Der Bund müsse die Mittel eben nun auf die Länder umschichten, ließ Seehofer ausrichten. Aus seiner Sicht war die Welt durchaus in Ordnung, umso mehr, als er ein paar Sticheleien gegen die SPD und seinen neuen „Lieblingsfeind“, Vizekanzler Sigmar Gabriel, anbrachte.

Für starke Töne ist die CSU nach wie vor jederzeit gut, und üblicherweise ist Wildbad Kreuth die Kulisse für derlei rhetorische Muskelspiele. Hier polterte Strauß gegen Helmut Kohl, hier demontierten 2007 die CSU-Granden in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ihren Regenten Stoiber. Nach mehr als 40 Jahren ist der Pachtvertrag des Wittelsbacher-Schlosses indessen ausgelaufen, und die CSU wollte sich nicht damit abfinden, den sechsfachen Preis für das Seminarhotel der parteieigenen Hanns-Seidel-Stiftung zu bezahlen.

Es ist ein weiteres Symptom für den Bedeutungsverlust der Christlichsozialen. Auch das bierselige Ritual der Aschermittwoch-Rede, ein Teil der politischen Folklore in Bayern, findet längst nicht mehr jenes überregionale Echo. Seehofer und sein Finanzminister, Markus Söder, der ihm inzwischen immer offener den Rang streitig macht und sich so längst in Stellung gebracht hat für den Kampf um dessen Nachfolge, haben kein Hehl gemacht aus ihrem Plädoyer für den Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone. Als Angela Merkel bei einer internen Runde im Kanzleramt über die Strategie Berlins in der Griechenland-Krise beriet, bat sie zwar SPD-Chef Gabriel und Finanzminister Schäuble dazu, aber nicht Seehofer – ein Novum.

Populistische Töne in der Asylpolitik

Der vermeintlich starke Mann der CSU, Ministerpräsident und CSU-Chef in Personalunion wie einst Strauß und Stoiber, ist geschwächt – nicht zuletzt durch seine eigene Ankündigung, bei den Landtagswahlen 2018 in Bayern nicht mehr anzutreten. Gegenüber der Kanzlerin gibt sich der früher so aufrührerische Seehofer kuschelweich und ziemlich kleinlaut. In einem „Spiegel“-Interview brach er neulich sogar eine Lanze für eine neuerliche Kandidatur Merkels.

In der Asylpolitik schlägt er als Wortführer derweil populistische Töne an. Er tritt für die Errichtung von Abschiebelagern an der bayerisch-österreichischen Grenze ein, er schlägt Schnellverfahren und rigorose Maßnahmen gegen Asylanten aus den Balkanstaaten vor – und erntet so bundesweite Ablehnung quer durch die Parteien. Für Seehofer ist dies indes ein Signal der Anerkennung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2015)

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