Deutschland: Sozialdemokratisches Sommertheater

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Die SPD und das Ritual der K-Frage: Angesichts der desolaten Umfragewerte stellen Spitzenpolitiker den Kanzleranspruch und die Chancen des Parteichefs, Sigmar Gabriel, infrage.

Wien/Berlin. In 13 Minuten war alles vorbei. Als Vizekanzler nahm Sigmar Gabriel bei der Kabinettssitzung im Kanzleramt den Platz Angela Merkels ein, die derzeit in Südtirol am Fuß des Ortlers ihrer Neigung zum Wandern nachgeht. Gabriel scherzte mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier, seinem SPD-Parteifreund. Danach fehlte es ihm allerdings an Lust und Laune, vor die Presse zu treten, um womöglich bloß ein Statement in eigener Sache abzugeben. Ohnedies ist nach seinem Geschmack in den vergangenen Tagen in den diversen Sommerinterviews bereits zu viel gesagt worden über Sigmar Gabriel, seine Qualifikationen und den Zustand der Sozialdemokratie.

Was wäre schon ein Sommer in Deutschland ohne die K-Frage, ohne die obligate Frage nach dem Kanzlerkandidaten? Insbesondere die Sozialdemokraten sind darauf spezialisiert, und manche erinnern sich noch mit Schaudern an den Sommer vor 20 Jahren, an die schleichende Demontage des SPD-Chefs Rudolf Scharping, die Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder fintenreich und mit Faible zur Intrige betrieben haben.

Keine ernsthafte Alternative

Zwei Jahre ist es noch hin bis zur Bundestagswahl. Es bestünde somit keine Notwendigkeit für eine Diskussion über den geeigneten Kanzlerkandidaten, und Gabriel sah dafür in einem ZDF-Interview auch keinen Anlass – zumal sich keine Alternative anbietet. In der SPD gehen alle davon aus, dass diesmal der Parteichef selbst antreten wird – und nicht wie 2009 und 2013 Frank-Walter Steinmeier und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück, den von vornherein chancenlosen Merkel-Herausfordern, elegant den Vortritt lässt. Vereinzelt bringt mancher den Namen von Martin Schulz, dem Präsidenten des EU-Parlaments, oder den der Ex-Präsidentschaftskandidatin und Professorin Gesine Schwan ins Spiel. Doch dies sind keine ernsthaften Anwärter.

Das sozialdemokratische Sommertheater hob indessen mit einer Nebenbemerkung Torsten Albigs an. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein räsonierte vor sommerlicher Kulisse an der Kieler Förde, ob die SPD angesichts der Popularität der Kanzlerin und der desolaten Umfragewerte der eigenen Partei überhaupt den Kanzleranspruch stellen sollte. Er hat Angela Merkel attestiert, dass sie ihre Sache ganz ausgezeichnet mache. Priorität sei, dass die SPD weiter an der Regierung beteiligt sein müsse.

Damit traf er die Stimmung auf den Punkt, obwohl sogleich die Parteifreunde aufheulten. Die Kanzlerin scheint momentan unangefochten – sofern sie denn noch einmal kandidiert. In den Umfragen liegt die Union stabil bei über 40 Prozent, während die SPD bei 25 Prozent dümpelt und seit Jahren nicht vom Fleck kommt. Dabei haben die Sozialdemokraten bei den Landtagswahlen Erfolge errungen, und sie haben der großen Koalition in Berlin auch inhaltlich ihren Stempel aufgedrückt. SPD-Funktionäre lästern nur zu gern über die „Sozialdemokratisierung“ Merkels.

Zugleich brüskierte Gabriel mit seiner Unberechenbarkeit und Spontaneität, mit dem Zickzackkurs in der Griechenland-Krise viele Parteigänger. Nur ein Drittel der SPD-Mitglieder favorisiert ihn als Spitzenkandidaten. Als Wirtschaftsminister, jüngst mit einer Iran-Mission, verschaffte er sich indes Respekt in der Welt der Industrie.

Mit Lust zur Provokation streute Peer Steinbrück – wie sein „Bruder im Geiste“, sein Ex-Pressesprecher Albig – Salz in die Wunden. Er stellte der SPD ein verheerendes Zeugnis aus: „Sie mobilisiert nicht, sie weckt keinen Enthusiasmus, sie reißt niemanden mit.“ Und sie negiere die Zukunftsfragen. SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel versuchte, das Ende der Debatte zu dekretieren: „Die SPD ohne Kanzlerkandidat ist wie die Kieler Woche ohne Schiffe.“ Als Parole gab er aus: „Sommer, Sonne, Schweigen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2015)

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