Ägypten: Kairo eröffnet neuen Suezkanal

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Präsident Sisi feiert die neue Fahrrinne des Suezkanals. Das nationale Prestigeprojekt könnte sich als teures Milliardengrab erweisen. Schon jetzt ist der Kanal nicht voll ausgelastet.

Kairo. Abdel Fatah al-Sisi sparte nicht mit großen Worten. Das eine Mal sprach der Präsident „vom großen nationalen Traum“, das andere Mal „vom Geschenk Ägyptens an die Welt“. Fast 150 Jahre nach der Eröffnung des Suezkanals will der Staatschef in Kairo dieser Tage erneut Geschichte schreiben.

Vor einem Jahr gab er den Startschuss für das ehrgeizigste Mammutprojekt seines Landes in den vergangenen Jahrzehnten. Zwölf Monate lang wurde rund um die Uhr auf der Großbaustelle geschuftet. 258 Mio. Kubikmeter Sand wurden bewegt; 4500 schwere Baufahrzeuge waren im Einsatz: Kräne, Bulldozer, Schwimmbagger und Lastwagen. 50 einheimische und internationale Firmen arbeiteten unter Aufsicht des ägyptischen Militärs.

Auf einer Länge von 72km entstand eine zweite Fahrrinne, die gut ein Drittel der Suez-Gesamtlänge ausmacht. 37km wurden neu gegraben, auf 35 km Länge wurde die bestehende Wasserstraße zweispurig erweitert. Sie soll die Durchfahrtszeiten von bisher 22 auf elf Stunden halbieren. Erste Probefahrten mit Containerschiffen seien erfolgreich verlaufen, meldeten die Verantwortlichen.

Am heutigen Donnerstag soll das große nationale Prestigebauwerk feierlich eingeweiht werden. Dreißig Millionen Dollar hat Ägyptens Führung für dieses Großereignis veranschlagt. Eine Goldmünze wurde geprägt, eine Sonderbriefmarke gedruckt. Reisende bekommen dieser Tage sogar einen Stempel mit dem Logo des neuen Suezkanals in den Pass gedrückt. Präsident Sisi ließ eigens die 150 Jahre alte königliche Jacht Mahroussa von Alexandria in den Kanal verlegen, um am Donnerstag mit den angereisten Staatsgästen das neue Teilstück zu befahren. Von dem Luxusschiff aus hatte bereits 1869 Ägyptens damaliger Vizekönig, Ismail Pasha, den ersten Suezkanal eröffnet.

Die gesamte Stadt Ismailia, in der sich das Hauptquartier der Kanalverwaltung befindet und die Eröffnung stattfindet, ist mit Fahnen geschmückt. Komplette Straßenfluchten wurden neu gestrichen, um den ausländischen Investoren ein positives Bild zu bieten. Rechts und links des Kanals sollen in den nächsten Jahren zusätzlich 76.000 Quadratkilometer als Industriezonen und Hafengebiete entstehen.

Symbol für nationale Unabhängigkeit

Schätzungsweise acht Prozent des Welthandels gehen durch die berühmte Wasserstraße, die das Mittelmeer über das Rote Meer mit dem Indischen Ozean verbindet. Für Ägyptens Staatshaushalt ist der Suezkanal nicht nur eine der lukrativsten Devisenquellen. Seit seiner Verstaatlichung durch Präsident Gamal Abdel Nasser 1956 ist er auch das wichtigste Symbol für die nationale Unabhängigkeit. So wundert es nicht, dass viele Ägypter den jüngsten Ausbau für eine Großtat Sisis und eine visionäre Investition halten.

Fachleute dagegen hegen Zweifel, ob die hochgesteckten Erwartungen an die Neun-Milliarden-Dollar-Investition aufgehen werden. Seriöse Analysen über den wirtschaftlichen Effekt der neuen Teilrinne existieren nicht. Stattdessen setzen die Verantwortlichen am Nil immer die gleichen pauschalen Prognosen in die Welt, von denen niemand weiß, wie sie erstellt wurden. Nach diesem offiziellen Kalkül sollen die jährlichen Einnahmen von zuletzt 5,3 Milliarden Dollar in den kommenden acht Jahren auf 13,2 Milliarden Dollar wachsen, was einer Steigerung von mehr als 250 Prozent entspricht. Die Zahl der täglichen Passagen müsste sich nach diesen Kalkulationen von derzeit 49 auf 97 Schiffe verdoppeln: Eine Ziffer, die bei Logistikexperten als völlig illusorisch gilt, zumal schon jetzt die Maximalkapazität des Kanals nur zu 70Prozent genutzt wird.

Containerschiffe als Hauptkunden

Zudem sind die Suez-Einnahmen kein einfaches lineares Zahlenwerk. Sie bestimmen sich aus einem komplexen Wechselspiel zwischen Weltkonjunktur und Frachtaufkommen, zwischen Spritpreis für Schiffsdiesel und Gebührenstruktur des Kanals. Je billiger der Treibstoff, je größer die Schiffe, je teurer die Suez-Passagekosten und größer das Kriegs- und Piratenrisiko am Ausgang des Roten Meeres im Golf von Aden, desto mehr Reeder könnten sich für die um 4000 Kilometer längere Route um das Kap von Südafrika entscheiden. Bei Containerschiffen, die den Großteil der Kanalkunden ausmachen, hat es 2014 weltweit ein Wachstum von 5,5 Prozent gegeben.

Für die kommende Dekade rechnen die internationalen Spediteure mit maximal drei bis fünf Prozent Zunahme pro Jahr.

„Alles hängt von dem Handelsvolumen zwischen West und Ost ab, nicht von der Kapazität des Kanals“, erklärt Xu Zhibin, Chefmanager in Kairo für Chinas staatliche Transportgesellschaft Cosco, die weltweit zu den größten Container-Reedern gehört und täglich mindestens ein Schiff für die Kanalpassage bucht. Nach seinen Angaben sind die Suez-Gebühren bislang auf einem Rohölpreis von 100 Dollar pro Barrel kalkuliert und berücksichtigen nicht den anhaltenden Preisverfall. „Ich kann nicht erkennen, wie der neue Kanal, der die Kapazität erhöht und die Durchfahrt größerer Schiffe erlaubt, zu einem derartigen Boom bei den Einnahmen führen soll“, kritisierte Omar al-Shenety, Chefstrategist bei der Multiples Investment Group, einer Beratungsfirma für Geldanlagen mit Sitz in Dubai und Kairo.

Aber auch im Inneren könnte sich das neue Suez-Projekt als teures Milliardengrab entpuppen. Denn finanziert wurde das Ganze durch eine Volksanleihe, die in Ministückelungen unter die Leute gebracht wurde und wegen ihrer jährlichen Rendite von zwölf Prozent innerhalb von acht Tagen ausverkauft war. Die künftigen Zinsen belaufen sich auf gut eine Milliarde Dollar und sollen aus den Kanaleinnahmen finanziert werden, was das Ergebnis stark belasten wird. Und so könnte der neue Suezkanal am Ende das gleiche Schicksal erleiden wie viele andere ägyptische Megaprojekte, mit denen Sisi die Wirtschaft wieder in Gang bringen will. Von dem vollmundigen Versprechen, eine Million Wohnungen für sozial Schwächere zu bauen, sind nur noch 50.000 Apartments übrig, die allein für Wohlhabende erschwinglich sind. Die neue Verwaltungshauptstadt Kairo für vier Millionen Einwohner scheint offenbar schon an der Finanzierung der Planungskosten zu scheitern.

Einzig der dänische Frachtriese Maersk, seit Jahren der größte Suez-Kunde, meldete sich mit Lob zu Wort, allerdings verbunden mit einer deutlichen Mahnung. Chef-Disponent Keith Svendsen pries Sisis Kanalerweiterung als „historische Anstrengung für den Welthandel und die Zunahme des allgemeinen Wohlstands“. Die verringerte Wartezeit werde helfen, Sprit bei den Schiffen zu sparen, erklärte er, dessen Konzern mit Frachtseglern experimentiert, die Afrika umrunden können. Für Maersk habe die Suezkanal-Route nach wie vor Priorität. Langfristig könne das nur dann so bleiben, wenn die ägyptischen Behörden die Preispolitik „transparenter gestalten und an die Realitäten anpassen“.

AUF EINEN BLICK

Der Suezkanal wurde 1869 eröffnet. Er ist 193Kilometer lang. Binnen zwölf Monaten wurde am Mittellauf im Raum Ismailia auf 35 km Länge ein Parallelkanal gebaut. Nördlich davon entstand ein zweiter „Bypass“, im Süden erweiterte man die Fahrrinne in den Bitterseen, beides misst weitere 37km. Die Passagezeit soll von 18 bis 22 auf elf Stunden fallen, statt im Mittel 49 sollen pro Tag 97 Schiffe im Kanal sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2015)

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