Brasilien: Dilma Roussef sitzt auf wackeligem Thron

(c) REUTERS (SERGIO MORAES)
  • Drucken

Während gegen die brasilianische Präsidentin ermittelt wird, muss sie der wütenden Bevölkerung ihr Sparprogramm verkaufen.

Buenos Aires/Brasília. Immerhin hat sie noch Freunde, die auf Besuch kommen. Nächsten Mittwoch wird die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, vorbeischauen im Palácio do Planalto, um die deutsch-brasilianische Zukunft zu erörtern. Dabei ist keineswegs sicher, ob die Kanzlerin wirklich die auch künftig noch befugte Konversationspartnerin antreffen wird. Denn Dilma Rousseffs Perspektiven sind noch düsterer als jene ihres Landes.

„Ein perfekter Sturm“ titelte vorige Woche das regierungskritische Politmagazin „Veja“. Und zeigte, unter einer Salve von zuckenden Blitzen, das zuletzt sichtbar schmälere Gesicht der Präsidentin. Dilma Rousseff muss ein Land aufrichten, das den Glauben verloren hat: an seine Wirtschaftskraft, an die Institutionen – und vor allem an seine Präsidentin. Nur noch acht Prozent der Brasilianer finden, Dilma Rousseff mache ihren Job gut, ermittelten kürzlich die Meinungsforscher von „Datafolha“. Aber 71 Prozent meinten, die Chefin der Arbeiterpartei PT arbeite „schlecht“ oder „fürchterlich“. Und zwei Drittel fanden, Rousseff solle ihres Amtes enthoben werden.

Kommenden Sonntag werden im ganzen Land wieder Hunderttausende marschieren. Und längst ist es nicht nur die urbane Mittelklasse, die vor zwei Jahren mit den Protestzügen begann. Inzwischen demonstrieren auch viele Brasilianer, die vorigen Oktober ihre Stimme der Arbeiterpartei gaben und nun enttäuscht sind, dass die Parteichefin in Zeiten von explodierender Arbeitslosigkeit, Währungsverfall und Inflation einen massiven Sparkurs fährt und dafür auch noch den neoliberalen Banker Joaquim Levy zum Finanzminister berief.

Projekte stehen still

„Ein Witz“, das war Levys Kommentar, als er zum Amtsantritt im Februar gefragt wurde, was er von der Politik seines Amtsvorgängers hielt. Dieser hatte vier Jahre lang versucht, die erlahmte Wirtschaft aus der Staatskasse zu stimulieren, ohne Erfolg, aber mit Folgen für die Staatsfinanzen. Die Subventionen verpufften, weil die Brasilianer nach der Konsumfiesta unter Rousseffs Vorgänger Lula da Silva massiv verschuldet sind. Vom Inlandsmarkt können Rousseff und Levy keine Besserung erwarten.

Zu allem Unglück gibt es auch von außen kaum gute Kunde. Seitdem Chinas Rohstoffhunger nachlässt, bringen Mineral- und Sojaexporte weniger Erlös. Und Brasiliens Ölpläne schlugen massiv leck. Die Ausbeutung der Tiefseevorkommen ist zu heutigen Preisen nicht zu realisieren, daher sind viele Projekte – Häfen, Raffinieren, petrochemische Großanlagen – auf Halt gestellt worden, kosten aber dennoch Milliarden, die auf Kredit finanziert wurden. Nun drohen auch noch höhere Zinsen, wenn die Ratingagenturen ihre Bewertungen weiter senken. Zuletzt haben Standard & Poor's und Moody ihre Noten auf die letzte Stufe vor Ramsch gesetzt. Wenn Rousseff und Levy nicht reagieren, senken sich die Daumen.

Daher hat Levy mehrere Sparpakete geschnürt und in den Kongress geschickt. Doch dort herrscht – nach den Ermittlungen gegen 50 Abgeordnete im Korruptionsfall um Petrobras – Kabale. Nur mit Mühe konnte Rousseff ihre Partei überzeugen, aber mehrere Koalitionspartner scherten aus. Zudem erlaubt sich der Präsident des Kongresses einen Privatkrieg mit Rousseff, weil die Präsidentin die Ermittler nicht stoppen will, die behaupten, Eduardo Cunha habe von einer Baufirma fünf Millionen Dollar Schmiergeld eingestrichen. Kürzlich versicherte Cunha, es sei Brasilien nicht zuzumuten, die Präsidentin ihres Amtes zu entheben. Und doch gibt es Indizien, dass er an Rousseffs Sitz sägt.

Bankengeld für Haushaltsloch?

Derzeit untersucht die oberste Wahlbehörde, ob Rousseff für ihre Kampagne 2014 Gelder aus schwarzen Petrobras-Kassen erhalten hat. Sollte sich das bestätigen, könnte die Präsidentin des Amtes enthoben werden und Cunha die Präsidentschaft übernehmen. Diese Ermittlungen sind gefährlich, aber noch gefährlicher sind die Recherchen des Bundesrechnungshofes. Der gab am Mittwoch der Präsidentin eine Frist bis zum 27. August, um zu beweisen, dass sie nicht Geld mehrerer Staatsbanken benutzte, um im Wahljahr Haushaltslöcher zu stopfen – eine gängige Praxis schon vor Rousseff.

Nun hat die Präsidentin zum Gegenangriff geblasen. Sie und ihr Mentor Lula wollen den Bürgern erklären, wie notwendig der eingeschlagene Sparkurs sei. Vergangenes Wochenende versammelte Rousseff, die als junge Frau fast drei Jahre Folterkerker durchstand, ihre Getreuen zu einem Privatissimum. Danach erklärte die Präsidentin, die auch einen Lymphdrüsenkrebs niederrang: „Ich habe bewiesen, dass ich härteste Prüfungen überstehen kann.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Die Sozialistin Rousseff ist unter Druck.
Außenpolitik

Brasilien: Rousseff unbeliebteste Präsidentin seit Staatsgründung

Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff will trotz geplanten Großdemonstrationen am Sonntag nicht zurücktreten. Nur mehr acht Prozent der Brasilianer unterstützen sie.
Außenpolitik

Proteste: Brasilianer proben den Aufstand

Hunderttausende sind gegen Präsidentin Rousseff auf die Straße gegangen. Angesichts eines drohenden Machtvakuums warnen selbst ihre Gegner vor einer Gefahr für die Demokratie.
Die Sozialistin Rousseff ist unter Druck.
Außenpolitik

Brasilien: Rousseff unbeliebteste Präsidentin seit Staatsgründung

Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff will trotz geplanten Großdemonstrationen am Sonntag nicht zurücktreten. Nur mehr acht Prozent der Brasilianer unterstützen sie.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.