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Song Contest: Ordentlich auf den Putz gehaut

(c) EPA (Ulrich Perrey)
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Ein gebürtiger Weißrusse gewinnt mit einem sagenhaften Punkte-Rekord für Norwegen. Russland debütiert als Austragungsort mit Superlativen und hat über 30 Mio. Euro für das Spektakel aufgebracht.

Sie hätte ihn so gern bei seiner Sternstunde im Fernsehen gesehen, sagte seine Oma aus Vitebsk am Sonntag kurz nach Mitternacht am Telefon. Aber das weißrussische Staatsfernsehen hätte den Eurovisions-Songcontest nicht übertragen. Dabei hätte das politisch isolierte Land allen Grund, sein rares Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Vor allem die Stadt Vitebsk im nordöstlichen Weißrussland hat nun einen zweiten Abkömmling zum Herzeigen. Der erste war Marc Chagall, geboren als Moishe Segal und gestorben 1985 in Paris. Kaum war er tot, kam Alexander Rybak auf die Welt und emigrierte mit seinen Musikereltern schon in früher Kindheit Richtung Norwegen. Prosaischer als Chagall allein schon im Namen, der auf Deutsch „Fischer“ heißt. Etwas einfacher auch im künstlerischen Tiefgang.

Wiewohl nicht unauthentisch. Von seiner ersten Liebe vor fünf Jahren sang Rybak beim Song Contest, ließ er wissen: Ja, viele hätten eine bessere Stimme als er, meinte der 23-jährige Liebling aller Schwiegermütter: „Aber mein Trumpf ist, dass ich es liebe und Geschichten zu erzählen weiß“.

Sieger Alexander Rybak wirkt total echt

Mit seiner Erzählung „Fairytale“, die er selbst mit Geigenspiel unterlegte, fesselte Rybak nicht nur das Song-Contest-Publikum beim Finale im Moskauer Olympiastadion, sondern in beispielloser Weise auch die Jury. Mit förmlich sagenhaften 387 Punkten sicherte er sich nicht nur den Rekord in der Geschichte des Song Contest, sondern überbot den bisherigen gleich um ganze 89 Punkte. Wie ein irischer Folksong kam „Fairytale“ daher, komponiert in den Weiten des fischreichen Norwegen, das mit dem Weißrussen zum dritten Mal den Grand-Prix-Sieg errang. Da musste sich die isländische Yohanna, die auch auf Erzählerisches setzte, mit ihrer Ballade „Is It True?“ aber hinter Rybak zurückblieb, mit 218 Punkten bescheiden. Lediglich Norwegens Ölpendant am anderen Ende Europas konnte die nordische Dominanz mit kaukasischer Heißblütigkeit durchwirken: Aserbaidschan errang mit dem orientalisch geprägten Song „Always“ 207 Punkte.

Nicht nur Rybak sorgte für einen Rekord. Russland warf sich ins Zeug, um bei seinem Debüt als Gastgeber des Song Contest alles zu toppen, was der Wettbewerb in seiner 53-jährigen Geschichte gesehen hat. Im Olympiastadion, das die Sowjets 1980 für die Spiele errichteten, werde eine „olympiareife“ Show stattfinden, wurde schon im Vorfeld angekündigt. Trotz Wirtschaftskrise, die das Land hart trifft, hat Russland über 30 Mio. Euro für das Spektakel aufgebracht. Einiges kassierte Xenija Suchinowa, Russlands Miss World, die Klischees der Teilnehmerländer in Dutzenden verschiedenen Haartrachten vorführte und optisch in jedem Land gut kam. Einiges verschlang der Cirque du Soleil mit seiner akrobatischen Eröffnungsshow. Der russische Vorjahressieger und Popstar Dima Bilan wurde von der Decke eingeflogen und gab seinen Siegessong nochmals zum Besten. Auch der Startschuss für die Abstimmung über den diesjährigen Sieger kam von oben – und zwar von der Besatzung der Internationalen Raumstation (ISS) aus dem Weltall.

Nach vielen Zerwürfnissen mit dem Westen in letzter Zeit hat Russland eine große Show geliefert. Manchen Skandal hätte es sich bei etwas mehr Gelassenheit ersparen können, zumal dem Land in Zeiten, da es um die Diversifizierung seiner einseitigen Ölwirtschaft kämpft – am Image zur Entwicklung auch des Tourismus gelegen sein muss. Die Demo der Homosexuellen zu verbieten, war so unklug wie die Hartnäckigkeit der Veranstalter, sie dennoch abzuhalten, worauf sie gewaltsam aufgelöst wurde.

Dass Georgiens Beitrag „We Don't Wanna Put In“ wegen der Anspielung auf Putin zurückgezogen werden musste, passt in die Schublade des Hick-Hacks der beiden Nachbarn. Und dass Russland letztlich mit Anastasija Prichodko sogar von einer Ukrainerin vertreten wurde, gehört zu den Skurrilitäten aus dem post-sowjetischen Raum.

Russland feierte ohnehin Rybaks Sieg als den eigenen, weil ja die „Sowjetunion (sic!) immer schon große Talente hervorgebracht hat“, wie ein Teilnehmer einer russischen Fernsehshow nach dem Song Contest anmerkte. Rybaks Großmutter hätte den Auftritt ihres Enkels trotzdem gern gesehen.

TRÄLLERN FÜR DEN RUHM

Mit 30 Mio. Euro war der Song Contest in der Moskauer Olympiahalle der bisher teuerste Grand Prix überhaupt.100 Mio. Menschen sahen Samstagabend das Finale des größten Musik-Wettbewerbs der Welt.

Auf Platz zwei ist die Isländerin Yohanna mit ihrer Ballade „Is it true?“ (218 Punkte). Dritter wurde das Duo AySel und Arash aus Aserbeidschan. Deutschland kam mit „Miss Kiss Kiss Bang“ des Duos „Alex swings, Oscar sings“ (mit der amerikanischen Stripperin Dita Von Teese) nur auf Rang 20.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2009)

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