Österreich lässt Flüchtlinge durch

  • Drucken

Auch Österreich lässt Asylwerber ungehindert in den Norden weiterreisen. Bayern schlägt nun Alarm, denn in den vergangenen zwei Wochen wurden 22.500 weitergeleitete Flüchtlinge aufgegriffen.

München/Wien. In Verona steigen sie täglich zu Hunderten in Züge in Richtung München. Die Flüchtlinge wollen nach Deutschland, Großbritannien und Skandinavien weiterreisen. Und Österreich lässt sie passieren. Angesichts der Überlastung der heimischen Asylbetreuung gibt es kein Interesse, ihre Weiterreise zu behindern. Eine Vorgangsweise, die mittlerweile in fast allen europäischen Ländern üblich ist, die aber für zunehmende Spannungen unter den EU-Staaten sorgt. Die Asylwerber werden wie heiße Erdäpfel weitergereicht.

Das bayrische Innenministerium begründet nun, warum Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Wochenende laut über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen zu Österreich nachgedacht hat. Denn täglich würden bis zu 1600 Personen aufgegriffen, die zu einem Großteil aus Italien beziehungsweise Griechenland und zu einem kleineren Teil über Ungarn in den Schengen-Raum eingereist seien. In den ersten beiden Augustwochen wurden 22.500 Personen registriert, die auf diesem Weg nach Bayern kamen. Die Zahl jener, die unerkannt eingereist sind, dürfte noch höher liegen. „Natürlich finden wir es nicht gut, dass Österreich sie durchreisen lässt“, sagt ein Sprecher des bayrischen Innenministeriums im Gespräch mit der „Presse“. Pro Kopf habe Österreich schon jetzt sehr viele Asylwerber. „Deshalb haben wir aber Verständnis.“

Das Innenministerium in Wien führt Buch. Nach Österreich hat Deutschland heuer demnach lediglich 200 Dublin-Fälle zurückgeschickt. Deutschland setzt auf Kooperation mit Österreich, nicht auf Konfrontation. Schon weit hinter der Grenze sind österreichische und deutsche Beamte gemeinsam mit Kollegen aus Italien oder Ungarn in sogenannten trilateralen Streifen im Einsatz, um die Flüchlingsrouten über den Balkan und Italien zu überwachen. Sie patrouillieren entlang der großen Durchzugsstraßen und Zugsverbindungen. 1350 Beamte hat allein Österreich dafür abgestellt. Doch niemand gibt sich der Illusion hin, die Flüchtlinge auf diese Weise abfangen zu können. „Diese Erwartungshaltung hat auch Deutschland nicht“, heißt es dazu im Innenministerium in Wien. Zu groß ist der Andrang der Flüchtlinge. Sie bahnen sich ihren Weg, und die Beamten schauen oftmals weg oder drücken ein Auge zu. Was nützt es, die Syrer, Iraker oder Eritreer an der Einreise nach Österreich oder Deutschland zu hindern, wenn sie es ein paar Tage später wie bei einer Drehtür doch wieder probieren?

Auch wenn zehntausende Flüchtlinge über Österreich kommen, die Bayern schießen sich auf Italien und Griechenland ein: Dort liege die Hauptverantwortung, sagt Oliver Platzer vom Münchner Innenministerium. Beide Länder würden ankommende Flüchtlinge systematisch weiterschicken, statt ihre Asylanträge – wie es die Dublin-Verordnung eigentlich vorsieht – als Erstaufnahmeland zu bearbeiten und für diese Zeit Unterkunft und Versorgung bereitzustellen.

Es sei inakzeptabel, dass Italien und Griechenland „Flüchtlinge ohne Registrierung einfach an den Rest Europas weiterleiten“, so Herrmann in einem Interview mit der „Welt“. Der bayrische Innenminister fordert deshalb ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Rom und Athen. Die Kritik aus München richtet sich auch an die Balkanländer. Sie würden den Flüchtlingen „ein Taschengeld“ als Anreiz für die Weiterreise geben. Laut dem bayrischen Innenministerium würden jedoch derzeit deutlich weniger Personen über die Balkanroute, Budapest und Wien in Richtung Deutschland als über Italien und den Brenner reisen.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) wird diese Woche die neuen Flüchtlingszahlen präsentieren. Für dieses Jahr wird mit 450.000 bis 600.000 Aslywerbern gerechnet. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Asylwerber bereits um 134 Prozent. Deutschland, das an absoluten Zahlen schon bisher die meisten Asylwerber aufgenommen hat, drängt auf eine gesamteuropäische Lösung. Die Grenzkontrollen zu Österreich seien nur der letzte Ausweg, wird versichert.

Endstation Österreich

Kontrolliert Bayern tatsächlich wieder seine Grenze, hätte dies nicht nur Auswirkungen auf den Verkehr zwischen den beiden Ländern. Für Flüchtlinge, die in den reicheren Norden Europas drängen, wäre in Österreich dann Endstation. Sie müssten wieder nach Italien oder Griechenland abgeschoben werden, was in der Praxis schon derzeit nicht funktioniert. Das österreichische Innenministerium macht dafür die mangelnde Kooperationsbereitschaft der EU-Partnerländer verantwortlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Freiwillige helfen Flüchtlingen in Frankfurt am Main
Außenpolitik

Deutschland erhöht Flüchtlings-Prognose drastisch

Die Regierung rechnet mit biszu 750.000 Asylbewerbern in diesem Jahr. Bisher war man von 450.000 Antragsstellern ausgegangen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.