Jean-Marie Le Pen meldet sich beim Front National in alter Machtvollkommenheit zurück.
Paris. So hat sich Marine Le Pen das nicht vorgestellt. Kurzen Prozess wollte sie mit dem Vater machen. Der Ewiggestrige, der den Nazi-Kollaborateur Pétain verherrlicht und die Judenverfolgung verharmlost, gehört aufs Altenteil, hatte die Chefin des Front National beschlossen. Die Rechtspopulistin will zur bürgerlichen Mitte ausgreifen, 2017 die französischen Präsidentschaftswahlen gewinnen. Der auf rechtsradikalen Positionen beharrende Parteigründer steht da im Wege. Und so hat sie Jean-Marie Le Pen den Stuhl vor die Tür gestellt. Sie hat dem 87-Jährigen die Parteimitgliedschaft einstweilen entzogen und ihm mit Hilfe einer von den Mitgliedern im Internet abgesegneten Änderung der Parteistatuten die Ehrenpräsidentschaft aberkannt.
Das heißt, die Tochter glaubte, all dies getan zu haben. Sie hat es aber nicht. Heute, Donnerstag, wird sich der Vater bei einem Spitzentreffen der Partei nämlich in alter Machtvollkommenheit zurückmelden – im Gepäck drei Gerichtsurteile, aus denen hervorgeht, dass Parteiausschluss und Aberkennung der Ehrenpräsidentschaft rechtlich fehlerhaft und damit unwirksam sind. Er werde den Versammelten eine Lektion erteilen, hat der Patriarch angekündigt.
Die auf väterliche Lektionen offenbar nicht erpichte Tochter will dem Treffen fernbleiben. Was nicht heißt, dass sie sich geschlagen gibt. Die als Disziplinarausschuss tagenden Parteioberen sollen dem Widerspenstigen nach dem Willen der Chefin nun erst recht die Tür weisen. Offen ist allein, wie dies juristisch korrekt zu bewerkstelligen ist. Im Fall der geplanten Aberkennung der Ehrenpräsidentschaft bedarf es, wie den vom Vater beigebrachten Urteilen zu entnehmen ist, der Einberufung eines Sonderparteitages.
Und die von Marine Le Pen umworbene Wählerschaft? Sie ist zwiegespalten. Ein Teil wendet sich ab mit Grausen, ein anderer schaut fasziniert zu. An eine klassische Soap-Opera erinnert schließlich, was die Le Pens da aufführen. Wie bei diesen von Familienfehden kündenden Fernsehserien erweist sich das vermeintliche Ende der Geschichte als Auftakt zu einer neuen Staffel. Und ist es nicht auch einer Seifenoper würdig, wenn Marine Le Pen, als Rechtsanwältin ins Berufsleben gestartet, in blindem Zorn den Vater juristisch gleich dreimal anpatzt?
Die Gefolgschaft der Protagonistin scheint an der Geschichte Gefallen zu finden. Anders als an der juristischen Front hat die FN-Chefin in Umfragen keine herben Rückschläge hinnehmen müssen. Was freilich auch daran liegen dürfte, dass die Konkurrenz ebenfalls zwiespältige Gefühle weckt. Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy und Amtsinhaber François Hollande gelten als chancenreichste Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen. Laut Umfragen will die Mehrheit der Franzosen aber weder den Konservativen noch den Sozialisten 2017 am Start sehen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2015)