„Straight Outta Compton“ empfiehlt sich für den Oscar

(c) Universal/ Jaimie Trueblood
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„Straight Outta Compton“ hangelt sich pflichtschuldig von Anekdote zu Anekdote, von Beat zu Beat, seinen Flow findet er allerdings nie.

Ein Panzerwagen donnert mit voller Wucht durch eine Haustür und schleudert eine Frau brutal gegen die Wand. Compton, Los Angeles, 1986: ein hartes Pflaster, um nicht zu sagen, Kriegsgebiet. Gewalt und staatliche Gegengewalt stehen auf der Tagesordnung, wer hier lebt, muss kämpfen oder untergehen – und wir sind dabei, der „strength of street knowledge“ beizuwohnen. „Straight Outta Compton“, F. Gary Grays Drama über die wegweisende Gangsta-Rap-Gruppe N.W.A. („Niggaz Wit' Attitude“), eröffnet mit dieser Verbalfanfare aus ihrem gleichnamigen Kultalbum und gibt damit die Richtung vor: Es geht um die Zementierung musikhistorischer Mythen mit den Mitteln des Biopics.

Die Hauptfiguren werden bereits zu Beginn an ihr Band-Image gekoppelt. Dem Geschäftsmann Eric Wright (Jason Mitchell) begegnen wir bei einem Drogendeal, dem späteren Produzenten Andre Young (Corey Hawkins) beim Schwelgen im Jazzfunk einer Roy-Ayers-Nummer, O'Shea Jackson (verkörpert von dessen Sohn O'Shea Jackson Jr.) kritzelt anfangs Textzeilen in seinen Notizblock. Wer immer noch nicht weiß, um wen es hier geht, dem helfen Einblendungen der Pseudonyme: Eazy-E, Dr. Dre, Ice Cube. Die restlichen Mitglieder MC Ren und DJ Yella bleiben Randerscheinungen, auch auf den Kinoplakaten fallen sie hinter den Stars der Geschichte zurück – schließlich haben sie den Film nicht mitproduziert.

Aber schon bei drei Protagonisten kämpft „Straight Outta Compton“ damit, seine Erzählung in zweieinhalb Stunden zu zwängen, auch weil Gray sie geblockt inszeniert: So gut wie jede Szene lässt sich auf eine Pointe reduzieren, ist diese abgehakt, geht es zur nächsten: Die Gründung der Gruppe, erste Erfolge, der Vertrag mit Jerry Heller, der Durchbruch, das wilde Tourleben, Konflikte und Auflösung. Pflichtschuldig hangelt sich der Film von Beat zu Beat, seinen Flow findet er nie. Nebenher werden Polizeigewalt und Rassismus angeschnitten.

Glücklicherweise verleihen Schauspiel und Musik dem Film ein solides Rückgrat, vor allem Mitchell überzeugt als zwischen Ruhmesrausch und Selbstzweifeln hin und her gerissener Eazy-E. Die Konzertsequenzen vermitteln indes etwas von der ungestümen Kraft, mit der N.W.A. in ihrer Blütezeit die Rapwelt dominierte. Hier scheint die überlebensgroße Darstellung angemessen, anderswo wünscht man sich mehr Mut zur (undramatischen) Blöße, wie in einem schönen Aufnahmesession-Moment: Eazy intoniert als Rap-Neuling die erste Strophe zum frühen Hit „Boyz-n-the-Hood“, und seine Bandkollegen brechen in Gelächter aus.

Längst überfällige Anerkennung

Dieser authentische Augenblick ist eine Ausnahme in „Straight Outta Compton“. Selbst die dunklen Seiten des Musikgeschäfts passen zur selektiven Hagiografie: Mit dem Labelchef Suge Knight (R. Marcos Taylor) findet sich ein Bösewicht für die Hip-Hop-Superhelden. Man sollte den Film daher weniger als ernsthafte Auseinandersetzung mit seinem Stoff verstehen, sondern als überfällige Anerkennung eines wesentlichen Teilbereichs afro-amerikanischer Kultur durch das in diesen Dingen immer äußerst zögerliche Hollywood – Gangsta-Rap ist jetzt oscarreif.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2015)

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