Die Zwetschke als Gestein

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Das heurige Zwetschkenjahr lädt zur mannigfaltigen Verarbeitung dieser frühherbstlichen Frucht ein, wobei Köche bei der Herstellung von Dörrzwetschken und Powidl sehr schnell an ihre Grenzen stoßen können.

Mit der Zwetschkenernte ist es alljährlich so: Es gibt entweder gar keine Zwetschken, oder es gibt sehr sehr viele Zwetschken. Heuer ist eindeutig ein Zwetschkenjahr, noch dazu ein gutes. Die Zwetschken – sie sind in unüberschaubaren Massen vorhanden. Dieser Tage werden die Früchte reif. Die meisten von ihnen hängen noch am Baum. Etwa ein Fünftel der Fruchtmasse ist jedoch bereits abgefallen und bietet sich verführerisch verfaulend und schon von der Weite alkoholisch duftend im Gras rund um den Zwetschkenbaum zahllosen tierischen Zwetschkenliebhabern an. Allen voran den Wespen, da sie offenbar an keiner leicht angefaulten Zwetschke vorbeifliegen können.

Hornissen kommen auch gern und regelmäßig am Buffet vorbei. Man hört an der Basstiefe ihres Fluges sofort, dass hier ein anderes Lüfterl unter den Flügeln weht, dass hier eine höhere Instanz die Szenerie überfliegt. Die großen Faltenwespen naschen ebenfalls gern am Zwetschkensaft. Sie stärken sich sozusagen damit, um sich danach im Flug über das reiche Angebot an Wespen und Bienen herzumachen, mit denen sie zu Hause dann ihre Brut zu füttern gedenken.


Wespen- und Hornissenjahr. Das sind spektakuläre Manöver. Die Hornisse, dieses majestätischste heimische Insekt, fliegt bedächtig ihre Bahnen, stürzt sich im rechten Moment auf die ebenfalls fliegende Beute, beißt der im Flug kurzerhand den Kopf ab und fliegt sodann damit heim ins Hornissennest. Heuer ist nicht nur ein Zwetschken-, sondern auch ein Wespen- und Hornissenjahr. Also wird dem Beobachter in unmittelbarer Gegend des frühherbstlichen Zwetschkenbaums dank regen Treibens nie langweilig. Es stellt sich nur die Frage, was man als Mensch mit den mehreren Dutzend Kilo Zwetschken anfangen soll, die noch säuberlich und wie von feinstem Reif überhaucht im Geäst hängen. Wären es ein paar hundert Kilo so wie früher, als es hier noch von Zwetschkenbäumen und unternehmungslustigen alten Männern in blauen Latzhosen wimmelte, würde selbstverständlich sogleich Maische angesetzt, vergoren und im späten Herbst dann zu Schnaps gebrannt. Das machte zumindest der eine Teil der Familie, als er noch unter uns Lebenden wandelte.

Der andere pflegte die Zwetschken einzeln aufgelegt zu trocknen – und das ist uns ebenfalls in guter, wenngleich schauderhafter Erinnerung. Denn man darf sich das Resultat dieses Zwetschkendörrens nicht vorstellen wie eine jener saftigen, köstlichen und unter Garantie durch und durch mit feinsten Weichmachern und anderen Chemikalien behandelten Dörrzwetschken, die man heutzutage im Lebensmittelhandel erwerben kann und die selbst Leuten mit sehr schlecht sitzenden dritten Zähnen Freude bereiten. Unsere Dörrzwetschken hingegen waren vergleichsweise hart wie die Panzer von alten Hummern. Sie trugen keine Feuchtigkeit mehr in sich, denn damit wären sie schnell verschimmelt.

Man hatte eigentlich nur die Möglichkeit, mehrere Viertelstunden bei möglichst gutem Speichelfluss auf ihnen herumzulutschen, bis sich endlich leichte physikalische Veränderungen an der Oberfläche bemerkbar machte und man aufatmend wusste: Lang kann es nicht mehr dauern, und man kann das Teil endlich gefahrlos, und ohne die Backenzähne zu beschädigen, kauen. Auf diese Weise kam man mit ein paar gedörrten Zwetschken locker über mehrere Monate, weil man mehr als drei, vier auf einen Sitz sowieso nie wegbrachte, und der Geschmack selbst – nun denn. Sagen wir, man riss sich nicht unbedingt um sie.

Sollte jemand von Ihnen, geschätzte Leserinnen und Leser, ein Dörrzwetschkenrezept hüten, das weiche, saftige und trotzdem nicht schimmelnde Produkte liefert: Wollen Sie es nicht mit uns teilen? Ich stelle ein paar Kilo Zwetschken als Gegengeschäft in den Raum. Gern auch noch ein paar mehr.

Eine weitere Niederlage in Sachen Zwetschkenverarbeitung ist jüngeren Datums und folgte der zeitgenössischen Aufforderung, Powidl nicht durch das bekanntermaßen langwierige und sich über viele Stunden ziehende Einkochen herzustellen, sondern bequem und ohne mühselige Rührprozesse im Backrohr, und zwar in einem weiten, flachen Gefäß. Das Resultat erinnerte auf den ersten Blick an die eben unbesonnte Seite eines unbewohnten Gestirns. Tiefe Krater. Magma. Risse und Furchen. Alles, nur nicht die samtige Geschmeidigkeit, die man am Powidl so schätzt. Auch auf den zweiten Blick und nach energischem Rühren gab die Masse nichts her. Powidl war das jedenfalls keiner. Zwetschkenröster, werden Sie jetzt einwerfen, Zwetschkenstrudel, Zwetschkenkuchen, Zwetschkenknödel, Zwetschkenfleck , Zwetschkenmarmelade – alles treffliche Alternativen. Ja. So machen wir das. Wir backen und kochen uns jetzt da durch. Zwetschkenjahre müssen zelebriert werden.

Lexikon

Zwetschke.
Sie sind keine Pflaumen, obwohl die beiden fast zwillingsnah miteinander verwandt sind. Zwetschken sind kleiner, fester, weniger saftig und säuerlicher.

Hauszwetschke.
Die echte Haus- oder Bauernzwetschke ist eine uralte Sorte, von der es österreichweit verschiedene Varietäten gibt. Jede Region hat sozusagen ihre spezielle Hauszwetschke.

Dörrzwetschke.
Laut EU-Verordnung darf sie höchstens 23Prozent Feuchtigkeitsgehalt aufweisen. In Frankreich gibt es sie geschält als luxuriöse Delikatesse namens Prünelle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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