Weg frei durch die Alpen

TIROL: FELBERTAUERN
TIROL: FELBERTAUERN(c) APA/BRUNNER IMAGES/PHILIPP BRUNN (BRUNNER IMAGES/PHILIPP BRUNNER)
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Auf der Felbertauernstraße zwischen Mittersill und Matrei geht es wieder zügig voran. In zwei Jahren Bauzeit wurde ein neuer, 3,5 Kilometer langer, Streckenabschnitt geschaffen, der die alte Unglücksstelle umgeht.

Wien. Als am 14. Mai 2013 ein gewaltiger Felssturz bei Matrei die Felbertauernstraße verschüttete, war die Verkehrs- oder besser: Lebensader zwischen Osttirol und Salzburg bzw. Nordtirol gekappt. Eine Ersatzstraße entstand binnen weniger Wochen, der Bau einer neuen Trasse dauerte knapp über zwei Jahre. Heute wird dieses neue Teilstück mit einem großen Fest offiziell eröffnet, für den Verkehr freigegeben worden war es bereits vor zweieinhalb Wochen.

3,5 Kilometer lang ist diese neue Trasse, sie führt tiefer und zuerst weniger steil ansteigend als der verschüttete Abschnitt mit der Lawinengalerie über den Talboden Richtung Matreier Tauernhaus und in zwei großen Kehren zum Tunnelsüdportal und der Mautstation hinauf. Auf der Baustelle waren an die 60 Menschen und 40 Großgeräte ständig im Einsatz, es wurden 300.000 Kubikmeter Erdmaterial bewegt, tausende Felsanker mussten gebohrt werden. Mitunter brauchte es Sprengungen. Am kompliziertesten erwies sich der Bau der Hangbrücke, die 182 Meter über einen alten Aufschüttungsbereich führt. Zur Errichtungszeit der Straße in den Sechzigerjahren hatte man Aushub den Hang hinuntergekippt, nicht aber lageweise verfestigt. „Wir mussten mit Pfählen 20 Meter Halde durchbrechen“, schildet Karl Poppeller, Vorstandsdirektor der Felbertauernstraßen AG.

Die ursprüngliche Absicht, den zerstörten Abschnitt am Hang oben zu räumen und wieder instand zu setzen, wurde gleich wieder verworfen – geologische Untersuchungen und Simulationen zeigten, dass der Bereich zu instabil ist. Der Felssturz war vielmehr ein Bergsturz, bei dem zum Glück kein Mensch in Mitleidenschaft gezogen wurde – die Annahme, es könnte sich ein Fahrzeug unter den Massen befinden, erwies sich damals schnell als falsch. Der Sachschaden jedoch beläuft sich bis heute auf rund 27 Millionen Euro, verteilt auf den Neubau (18 Mio.) sowie unter anderem die Renaturierung, den Mautausfall oder einige Werbemaßnahmen.

Erfolgreich war die Felbertauernstraße seit ihrer Eröffnung im Jahr 1967. Sie ist zwar keine Transitroute wie die Brenner- oder die Tauernautobahn, auch keine Ausflugsstraße wie die 1935 eröffnete Großglockner Hochalpenstraße. Aber sie ist (wegen ihrer landschaftlichen Schönheit) beliebt und (wegen ihrer schnellen transalpinen Verbindung) gut und komfortabel befahren. Bereits mit der Fertigstellung der Ersatzroute wurde bald wieder eine Frequenz ähnlich wie 2012 erreicht. Im Schnitt sind 3500 Fahrzeuge täglich auf der Straße unterwegs, während des Urlauberschichtwechsels können es schon einmal 9000 bis 10.000 pro Tag sein.

Identitätsstiftende Bedeutung

Vor allem hat die Mautstraße für Osttirol eine identitätsstiftende Bedeutung, wie Martin Kofler, der Leiter des „Tirol Archivs Photographie“ in Lienz meint. Und eine wirtschaftliche wie politische Dimension. Bis zum Bau der Felbertauernstraße war Osttirol ein „Eiland“, schildert Kofler, das sich mehr an Kärnten denn an Nord- oder Südtirol orientiert hatte. In der Ausstellung „Durchbruch. Der Bau der Felbertauernstraße 1965/2015“ in Lienz zeigt er vor allem die Perspektive der Menschen, die an dem Großprojekt beteiligt waren – Arbeiter im Einsatz, ohne Helm, in Baracken, mit einfachem Bohrwerkzeug, eine Schlauchbootfahrt auf dem See im Tunnel, als das Wasser einmal nicht abgepumpt wurde. Für das Straßenprojekt hatte man sich ziemlich ins Zeug gelegt, der Osttiroler Parlamentarier Josef Kanebitter konnte es schließlich stark vorantreiben.

Für die Osttiroler war das Unglück 2013 einschneidend, weil viele nach Nordtirol oder in den Pinzgau pendeln. Auch Touristen, die diese Route zwischen Deutschland und den Kärntner Seen bzw. der Adria gern nutzen, mussten auf staugefährdetere Routen ausweichen. Wobei sich die Osttiroler schnell zu helfen wussten: Gleich nach dem Felssturz fuhr der Bus die Pendler bis zum Matreier Tauernhaus, den Weg bis zum Südportal überwanden die Einheimischen mit einem 20-minütigen Fußmarsch.

Dass die neue Trassenführung die Idee einer frühen Planung aus den 1950ern aufnimmt, sei mehr ein Mythos. Denn der Weg über den Talboden hätte auch einen längeren Tunnel bedeutet. „Dabei war man mit dem 5,6 Kilometer langen Felbertauerntunnel an die technischen Grenzen gelangt. 1967 war er, abgesehen von einem Bahntunnel in Spanien, der längste in Europa“, so Poppeller. In den Sechzigern erfolgte jedoch die Umsetzung als Scheiteltunnel (die Röhre dringt nicht an der Basis, sondern auf halber Höhe in den Berg ein und aus). Beim Bohren kamen sich die Osttiroler und die Salzburger entgegen, im Juni 1965 war der Durchstich.

Die Verbindung wird regelmäßig als „sicherster einröhriger Tunnel“ ausgezeichnet, erklärt Poppeller. Nach den Katastrophen im Tauern- und im Mont-Blanc-Tunnel wurde hier kontinuierlich in die Schutzmaßnahmen investiert, eine Sprühnebelanlage zieht sich durch die Röhre, Fluchtwege und Belüftung werden regelmäßig verbessert. Abgeschlossen ist das Projekt mit der Eröffnung heute nicht, in den nächsten Monaten steht noch einiges an, etwa die Renaturierung der Baustelle, den Rückbau der alten Trasse, die Anlage von Froschtümpeln. Und zu solchen Maßnahmen gehört auch, im Vorfeld Dutzende Ameisenhügel zu übersiedeln.

AUF EINEN BLICK

Eröffnung. Die nach einem massiven Felssturz im Mai 2013 notwendig gewordene neue Trasse auf einem 3,5 Kilometer langen Teilabschnitt der Felbertauernstraße in Osttirol ist vor zweieinhalb Wochen komplett für den Verkehr freigegeben worden. Die Eröffnungsfeier mit Polit-Prominenz wird heute, Samstag, über die Bühne gehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2015)

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