Bäume

Auf jeden Österreicher entfallen rund 400 Bäume – und ein großer Teil von ihnen sind eigentlich Fremde, Zuwanderer.

Bei diesen Zahlen sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr: Weltweit gibt es 3,04 Billionen Bäume, haben Forscher der Yale-University nun herausgefunden (Nature, online 2.9.). Das sind wesentlich mehr als bisher angenommen. Die Zahl ergab sich aus der Kombination aus Satellitendaten, 400.000 Beobachtungspunkten und statistischen Modellen. Auf jeden Erdenbewohner entfallen damit im Durchschnitt 416 Bäume. Im Nahen Osten sind es nicht einmal zehn je Einwohner, in Kanada dagegen fast 9000. Österreich liegt laut den US-Daten mit 360 Bäumen je Einwohner im Schnitt. In der Österreichischen Waldinventur wurden hierzulande 3,425 Milliarden Stämme ermittelt – das wären 428 je Österreicher.

Dass die Zahlen nicht genau übereinstimmen, darf nicht verwundern, denn erstens ist es Definitionssache, was noch ein Strauch ist und was schon ein Baum, und zweitens kann niemand wirklich jeden einzelnen Baum zählen.

Egal: Ungefähr jeder tausendste Baum auf dieser Welt wächst in Österreich. Da Bäume vergleichsweise langlebig und immobil sind, scheint es vielen, dass Wälder stabil sind und sich im Lauf der Zeit nur wenig ändern. Das ist falsch: Kaum ein anderes Ökosystem in Mitteleuropa wurde vom Menschen so stark umgestaltet wie das der Wälder; abgesehen von wenigen Urwaldresten ist unser Wald eine reine Kulturlandschaft, in der auch viele Bäume wachsen, die aus anderen Teilen der Welt zu uns kamen. Die Individuenzahl allein der wichtigsten vier Immigrantengruppen – Robinien, Hybridpappeln, Edelkastanien und Douglasien – übersteigt in Österreich die Zehnmillionen-Marke.

Damit fügen sich Bäume in das Bild, das kürzlich eine internationale Forschergruppe um Mark van Kleunen gezeichnet hat: Demnach hat der Mensch 3,9 Prozent aller weltweiten Pflanzenarten über die Grenzen der Kontinente hinweg verbreitet (Nature 525, S.100). Besonders krass ist das bei Gartenpflanzen, die fast zur Gänze aus anderen Teilen der Welt stammen – etwa Tulpen, Kirschen, Paradeiser oder Gartenerdbeeren.

Aber auch jene Bäume, von denen man annehmen möchte, dass sie echte Einheimische sind, sind in Wirklichkeit Zuwanderer. Sogar die mit Abstand häufigste Baumart Österreichs, die Fichte, ist erst nach dem Ende der Eiszeit in den Alpenraum eingewandert. Aus genetischen Analysen weiß man, dass es sich um drei Immigrantengruppen handelte, die aus unterschiedlichen Richtungen die Alpen besiedelt haben ...


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.