Frivoles Spiel im Asyldrama Parteipolitik nicht Maß aller Dinge

Manche Medien denken nur in Kategorien von Sieg und Niederlage, manche Politiker nur an eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Engstirniger geht's nicht.

Es gibt ihn anderswo sicher auch, aber der Tunnelblick, mit dem in Österreich in manchen Medien und Parteizirkeln auf die (partei-)politische Kosten-Nutzen-Rechnung des gegenwärtigen Asyldramas gestarrt wird, ist doch höchst eigenartig. Er ist auch angesichts der menschlichen Tragödien, die sich in Österreich und in den Nachbarländern zurzeit abspielen, ganz besonders provinziell. So „eng“ muss man eine historisch bedeutende Situation wirklich nicht sehen.

Es überrascht nicht, wenn in einer Gratiszeitung die eher stumpfsinnige Frage gestellt wird: „Wer siegt im Asyldrama politisch?“ Gemünzt auf die zwei kommenden Wahlgänge in Oberösterreich und Wien verbietet sich eine stichhaltige Antwort von selbst, weil das Ergebnis nicht vorher zu sehen ist – und bei falschen Antworten dann eben die Meinungsforschung verantwortlich gemacht werden kann.

Eher verwundert doch die Reaktion eines ÖVP-Mandatars dieser Tage, der sich auf die Frage nach dem Zustand der Bundespartei ganz euphorisch gab: Es gehe der ÖVP nach „dem schweren Fehler“ von Bundeskanzler Werner Faymann am letzten Wochenende hervorragend. Sprach's und entschwand beschwingt. Gemeint war offenbar Faymanns Kritik an Ungarns Ministerpräsident, Viktor Orbán, und dessen Umgang mit Flüchtlingen, verschärft durch einen unausgesprochenen Verweis auf die Praktiken der NS-Zeit.

Österreichisch engstirniger geht's nicht mehr, im einen wie im anderen Fall. Für manche Medien sind in der Politik tatsächlich nur Sieger und Verlierer wichtig. Da kann in den Tiefen des Boulevards der Blick für die Relationen schon verloren gehen. Die derzeitige Situation der Flüchtlingsbewegungen ist aber von anderer Bedeutung und anderer historischer Qualität als jeder Streit der Parteien um Steuer-, Bildungs- oder Sonst-was-Reform. Das sollten doch auch noch so einfach gestrickte Medienmacher erkennen können.

Ebenso bezeichnend, aber noch von größerer Tragweite ist die Reaktion des schwarzen Politikers. Sie offenbart, dass nach langjähriger politischer Tätigkeit nur mehr in eher einfältigen Parteikategorien gedacht werden kann: Uns geht es gut, weil die anderen nicht so gut dastehen. Wir sind im Aufwind, weil die Roten (Parteifarbe auswechselbar) Gegenwind haben.

Das Traurige daran ist, dass in jeder Partei Ereignisse, Herausforderungen, Aufgaben nur in diesem Raster betrachtet werden. Wahrscheinlich freut sich mancher SPÖ-Vertreter just dieser Tage, dass Vizekanzler Reinhold Mitterlehner eigentlich im Ringen um eine Lösung des „Asyldramas“ innerhalb der EU gar nicht vorkommt, Werner Faymann in Berlin, auf dem Balkan und in Brüssel den Aktiven gibt und man Mitterlehner geradezu als vermisst melden könnte.

Und noch wahrscheinlicher reibt man sich in der FPÖ die Hände, weil eine in dieser Dimension nicht vorhersehbare Entwicklung in den vergangenen Wochen „den anderen“ nur schaden kann. So kommt Wasser auf die eigenen (Partei-)Mühlen ohne sie mit irgendwelchen konkreten Vorschlägen mit Erfolgsaussicht in Bewegung setzen zu müssen.

Kurzsichtiger geht's auch nicht mehr. Natürlich gibt es in jeder Situation – dramatisch wie jetzt oder träge wie oft in diesem Land – politisch Profiteure und Verlierer. Nur, was soll das in Österreich angesichts der gigantischen Herausforderungen schon für eine Rolle spielen? In der Nachbetrachtung der Ereignisse wird man sie erkennen können. Akut aber kann es in der Asylfrage weder Sieg noch Niederlage geben, es sei denn, sie wird tatsächlich nur durch die parteipolitische Brille betrachtet. Dann wird es unser aller Niederlage sein.

Zu anderen Zeiten mag Parteipolitik als Maß aller Dinge schwer, aber doch irgendwie erträglich sein. In diesen außerordentlichen aber müssen alte Denkweisen überwunden werden. Wenn uns das gelingt, werden wir alle von dieser Krise profitieren – hier und in der EU.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2015)

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