Olympischer Volltreffer ohne Robin Hood

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Bei den Olympischen Spielen 2016 wird Österreich erstmals seit 32 Jahren wieder im Bogenschießenvertreten sein. Laurence Baldauff über den Rio-Traum, die Herausforderungen für Geist und Körper und falsche Vorstellungen von ihrem Sport.

Es herrscht idyllische Ruhe in der Freudenau. Unterbrochen wird sie an diesem Septembertag nur von Vogelgezwitscher und dem dumpfen Geräusch, wenn sich ein Pfeil in die Zielscheibe bohrt. Hier, etwas versteckt zwischen Golfplatz und Wasserdamm, feilt Bogenschützin Laurence Baldauff an ihrer Olympia-Form. Anfang August hat die 40-Jährige mit Platz zwei beim Qualifikationsturnier im Rahmen der WM in Kopenhagen sensationell das Ticket für die Olympischen Spiele 2016 gelöst.

Erstmals seit 32 Jahren wird Österreich damit in Rio wieder im Bogenschießen vertreten sein. „Ein bisschen Zeit brauche ich noch, um mich an den Gedanken zu gewöhnen“, gesteht die Schützin des BSV Stöttera. Einen ersten Vorgeschmack auf Rio bekommt Baldauff derzeit beim Testevent, das noch bis Dienstag läuft.

Der Traum von Olympia hat Baldauff schon länger begleitet, doch ein realistisches Ziel wurde es erst vor gut einem Jahr. Damals holte sie mit dem Team in der Disziplin Feld (Schießen auf Ziele aus unterschiedlicher Distanz und Winkeln) WM-Gold. „Das hat so gut funktioniert, dass ich mir danach gedacht habe: ,Ich habe noch ein Jahr Zeit und werde alles versuchen, um zu Olympia zu kommen.‘“ Auch der Verband hat unter Nationaltrainer Samo Medved die Bemühungen intensiviert und dank der Unterstützungen sowie des Förderprojekts Rio kann sich die gebürtige Luxemburgerin ganz dem Bogenschießen widmen.

Im eigenen Garten hat sie eine Zehn-Meter-Schießanlage stehen, im Sommer findet man Baldauff fünfmal pro Woche auf dem Schießplatz, für jeweils vier bis fünf Stunden. Ob in dieser Zeit nicht irgendwann die Konzentration nachlasse? „Man muss ja zwischendurch die Pfeile holen. Das ist die Erholung.“ Zusätzlich absolviert sie einmal pro Woche Krafttraining. Im Winter erhöht sich dieses Pensum, hinzu kommt Hallentraining in Luxemburg.


Karrierestart durch Zufall. Zum Bogenschießen kam Baldauff einst durch reinen Zufall. Als 16-Jährige trödelte sie bei einem Sportcamp beim Anziehen der Reitstiefel zu lang und verpasste die Abfahrt ihrer Gruppe. Ein Betreuer führte sie nach und legte auf dem Weg einen Stopp beim Bogenschießplatz ein. Baldauff durfte sich versuchen und prompt war die Leidenschaft entfacht. „Es hat mir sofort unheimlich gut gefallen. Gleich nach dem Camp habe ich mich bei einem Verein eingeschrieben“, erinnert sie sich im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Der Liebe wegen kam sie auch nach Österreich und machte bei Staatsmeisterschaften den österreichischen Verband auf sich aufmerksam.

Inzwischen haben die Jahre mit Pfeil und Bogen Spuren hinterlassen. „Wenn man genau schaut, sieht man ein Grübchen“, sagt sie, lacht und deutet auf ihrem Kinn an die Stelle, wo sich beim Bogenspannen die Sehne in die Haut drückt. Unverändert aber ist die Faszination für den Sport. „Die Suche nach der Perfektion“, erklärt sie, fessle sie. „Es gibt immer etwas, was man noch besser machen kann, um noch gleichmäßiger, noch genauer zu werden.“ Außenstehende würden mit Bogenschießen allerdings oft nur die eigenen Erinnerungen an kindliche Spiele verbinden. „Viele Freunde haben am Anfang gedacht, dass das ein einfacher Holzbogen ist. Dann habe ich ihnen meinen gezeigt und sie haben festgestellt, dass das nichts mit Robin Hood zu tun hat.“ Gefragt sind eine ruhige Hand, ein genaues Auge und höchste Konzentration – kurz, das perfekte Zusammenspiel aus Technik, Kraft und Kopf. „Man muss auf drei Ebenen gleichzeitig arbeiten. Das macht es komplex, aber auch abwechslungsreich“, sagt Baldauff.

Im Gegensatz zum Compound muss beim olympischen Recurve-Bogen der Schütze die Kraft zum Spannen der Sehne ohne Hilfe aufbringen. Mit den Fingern – erlaubt ist nur ein Lederschutz – schafft Baldauff ein Zuggewicht von 38 Pfund (17 kg), der Pfeil erreicht dadurch Geschwindigkeiten von über 200 km/h. Ihr aktueller Bogen ist ein Hightech-Geschenk ihres Sponsors, bestehend aus Karbon und drei Teilen: dem Mittelteil mit Visier und Pfeilauflage sowie den beiden Wurfarmen, von deren gebogenen Enden der Name Recurve rührt. Hinzu kommt ein Stabilisator, der das Gewicht des Bogens und damit das Ausschwingen nach vorn verlagert sowie Rückstöße auf Arm und Gerät nach dem Abschuss dämpft. Ein vollständiges Set schlägt mit rund 2500 Euro, ein einziger Pfeil mit 50 Euro zu Buche.


Olympische Tradition. Bei Olympia hat Bogenschießen eine lange Tradition. Bereits von 1900 bis 1920 stand der Sport viermal mit unterschiedlichen Disziplinen im Programm, ehe er mangels eines einheitlichen Regelwerks gestrichen wurde. In der Folge formierte sich 1931 der Weltverband World Archery Federation (WA, früher Fita), das olympische Comeback mit dem Recurve-Bogen aber gelang erst 1972. Das heute gültige Format feierte 1992 in Barcelona seine Premiere. Nach der Qualifikationsrunde treten die Teilnehmer in K.-o.-Duellen im Best-of-five-Modus gegeneinander an, für jeden gewonnenen Satz à drei Pfeilen gibt es zwei Punkte. Die Distanz zur Zielscheibe beträgt 70 Meter, gezählt werden die Punkte der getroffenen Ringe, von denen es je zwei in den Farben Gold, Rot, Blau, Schwarz und Weiß mit nach außen absteigender Punktezahl gibt. Ein Schuss ins Zentrum wird folglich mit zehn Punkten gewertet, im Fall des Gleichstands entscheiden die Mittetreffer. Baldauff, Nummer 122 der Welt, bringt es laut Statistik des Weltverbands im Schnitt auf 8,48 Punkte pro Pfeil.

Da der Weltcup mit Shanghai, Antalya, Wroclaw und Medellin nur vier Stationen umfasst, hat Baldauff im Zuge der Olympia-Vorbereitung auf eigene Initiative und Kosten an zusätzlichen Bewerben teilgenommen. Seit Februar hat sie fast jedes Wochenende ein Turnier bestritten und dabei viele freudige Wiedersehen erlebt. „Bogenschießen ist wie eine kleine Familie. Man hat Freunde auf der ganzen Welt“, erzählt Baldauff. Während das österreichische Team zumeist mit einem Trainer unterwegs ist, reisen andere Nationen mit großem Aufgebot an. „Die Asiaten haben zum Teil ihren eigenen Koch mitgebracht, der dann in der Hotelküche Algen und Reis zubereitet hat.“

Die internationale Konkurrenz dominiert Südkorea. Dessen Frauen haben seit 1988 jeden olympischen Teambewerb gewonnen, insgesamt hält das Land bei 19 Goldmedaillen. Die Weltranglistenführenden Kim Woo-jin und Ki Bo-bae sind in ihrer Heimat Superstars, von solcher Aufmerksamkeit kann Baldauff hierzulande nur träumen. Umso mehr genießt sie Auftritte wie bei den World Games vor zwei Jahren. „Das war unglaublich. Man hat sich gefühlt wie ein Rockstar.“ In Rio wird das weltberühmte Sambódromo den Bogenschützen als Bühne dienen, die Vorfreude darauf ist groß. „Das wird eine Riesenemotion werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2015)

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