Expressionismus: 1:0 für Leopold

Ernst Ludwig Kirchner: „Badende“ aus dem Jahr 1912.
Ernst Ludwig Kirchner: „Badende“ aus dem Jahr 1912.(c) Osthaus-Museum Hagen
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Die Ausstellung „Farbenrausch“ zeigt Werke aus Hagen – aufgepeppt mit Wiener Beständen.

Eine Sammlung geht auf Reisen, zwei Jahre lang soll sie unterwegs sein, und Wien ist die erste Station: Hier sollen die deutschen Expressionisten aus dem Osthaus-Museum Hagen auf Schiele, Kokoschka, Gerstl treffen. Über 100 Werke vor allem der Dresdner Brücke, aber auch des Münchner Blauen Reiters füllen bis Mitte Jänner das Erdgeschoß des Leopold-Museums. Der Titel soll die verschiedenen Tendenzen des deutschen Expressionismus auf einen gemeinsamen Nenner bringen: „Farbenrausch“.

Was nicht ganz trifft, denn die interessanteren Arbeiten sind in Schwarz-Weiß gehalten: Ein strenger Holzschnitt „Weg mit Bäumen“ von Karl Schmidt-Rottluff. Lithografien von Max Beckmann („Berliner Reise“). Ernst Ludwig Kirchners an Hieroglyphen erinnernde „Ziegenherde“. Und zierliche Abstraktionen („Kleine Welten X“) von Kandinsky.

Das Osthaus-Museum Hagen blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück: Der Gründer, Kunstmäzen Karl Ernst Osthaus, sammelte zu Beginn des 20. Jahrhunderts Werke der Impressionisten, später lernte er die Expressionisten schätzen. Er lud zu Ausstellungen, suchte Kontakt mit den Künstlern. Ihnen, berichtete Emil Nolde, sei das Museum „wie ein Himmelszeichen im westlichen Deutschland erschienen“. Doch Osthaus starb früh, mit 46 Jahren, an den Folgen eines Leidens, das er sich als Soldat im Ersten Weltkrieg zugezogen hatte.

Die Erben lösten die Sammlung prompt auf und verkauften wichtige Teile nach Essen, das war der erste Aderlass; die Nationalsozialisten sortierten die „entarteten“ Werke aus, das war der zweite. Bombenangriffe und Plünderungen taten ein Übriges: 1945 war fast nichts mehr da. Die Sammlung wurde komplett neu aufgebaut, mithilfe von Schenkungen und Spenden, mit einem Schwerpunkt auf dem Werk des in Hagen tätigen Christian Rohlf. Von der Aufbauarbeit Karl Ernst Osthaus' blieb im Wesentlichen die Hülle: die von Henry van de Velde ausgestattete Villa.

In Wien wurden die Hagener Bestände thematisch geordnet – da wird etwa die Sehnsucht nach der ländlichen Idylle dem Faszinosum Großstadt gegenübergestellt – und mit einzelnen Werken aus der Sammlung Leopold ergänzt. Das aber verleitet, auch wenn es nicht beabsichtigt war, zum Vergleich beider Sammlungen. Und obwohl das Osthaus-Museum sich u. a. auf den deutschen Expressionismus spezialisiert hat, stellt der Besucher rasch fest: Leopold suchte die stärkeren Werke aus.

Kraftvoller Nolde, feinnerviger Heckel

Am augenfälligsten ist das bei Emil Nolde. Aus Hagen kommt ein auch im Vergleich mit anderen Blumenbildern Noldes nichtssagendes, wiewohl großformatiges Blumengärtlein. Aus Wien dagegen zwei kraftvolle Grafiken, die den Betrachter stärker in Bann ziehen als alle Ölgemälde des dem Motto „Land und Meer“ gewidmeten Saales zusammen: wie düster das Meer, wie weiß die Gischt, wie einsam dieser „Dampfer in stürmischer See“ (1910)! Im Saal nebenan dominiert ein feinnerviges Selbstporträt Erich Heckels aus der Sammlung Leopold den Raum. Und auch die Prachtstücke der Hagener Sammlung, Jawlenskys „Barbarenfürstin“ und Kirchners „Künstlergruppe“, kommen kaum gegen Kirchners „Akte im Atelier“ aus Wien an, obwohl die bescheiden im Eck hängen.

Das beweist einmal mehr Leopolds Kunstsinn, für den, der neue Eindrücke sucht, ist es schade.

„Farbenrausch“: Meisterwerke des deutschen Expressionismus, bis 11. Jänner, Leopold Museum, in Kooperation mit dem Institut für Kulturaustausch, Tübingen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2015)

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