Regierung oder Lebensgefühl: Was Wien am Sonntag wählt

Zu viel Drama: Eine Kommunalwahl ist kein „Herr der Ringe“-Film. Trotzdem geht es am Sonntag nicht nur um den Wiener Bürgermeister.

Was stimmt nicht an dem Satz: „Kommenden Sonntag findet in Wien eine Wahl statt“? Ganz einfach, es ist nicht eine Abstimmung, es sind zwei. Und nein, das ist kein sophistischer Verweis auf die parallel stattfindenden Bezirksvertretungswahlen, vielmehr wird die Wiener Landtags-/Gemeinderatswahl tatsächlich zwei verschiedene Ergebnisse haben.

Das eine bestimmt die Wiener Regierung und ist erwartbar, man könnte auch sagen: etwas langweilig. Denn da bis auf die rechnerisch vermutlich viel zu schwache ÖVP alle Parteien eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen haben, wird es sehr wahrscheinlich wieder einen SPÖ-Bürgermeister geben. Trotz roter Verluste. Je nachdem, wie schlecht die Grünen abschneiden, wird die SPÖ halt mit zwei oder mit drei regieren. Nach dieser Logik lautet die wahrhaft spannende Frage des Sonntags also eigentlich bloß, welche Beilage es zum fixen roten Hauptgericht gibt: Grüne, ÖVP oder Neos?

Doch darüber redet kaum einer. Stattdessen starren alle auf das zweite Wahlergebnis, das zeigen wird, wie blau genau das rote Wien werden wird. Wobei das Match hier gar nicht mehr SPÖ gegen FPÖ lautet, sondern zu Gut gegen Böse stilisiert wurde: Bürgermeisterberater Harry Kopietz warnte etwa wörtlich vor einem „schwarz-blauen Teufelspakt“ in Wien und auch sonst waren die vergangenen Wochen oft weniger Kommunalwahlkampf, sondern eher wie ein „Herr der Ringe“-Film – mit allen Wienern als Statisten. Denn die Flüchtlingskrise hat nicht nur das rot-blaue Duell verschärft, sondern auch die Polarisierung der Gesellschaft zum Wahlthema gemacht. Wien tritt am Sonntag sozusagen zum Selbsttest an: Sind wir eher die „Generation Hauptbahnhof“ (Copyright: „Profil“) oder die „Generation Gartenzaun“ – um eine blaue Metapher für die Forderung nach einem Grenzzaun zu borgen?

Eine spannende Frage, aber eine mit Nebenwirkungen. Die erste: Manche Parteien werden Stimmen bekommen, die sie einfach nicht verdienen. Tatsächlich ist die Aufforderung „Wählt mich, damit ihr den anderen verhindert“ ein Armutzeugnis. Deutlicher kann man nicht sagen, dass das Programm nicht ausreichend überzeugt. Dennoch haben alle bei diesem Dagegen-Spiel eifrig mitgemacht: SPÖ, Grüne und Neos buhlen um den Titel „Strache-Verhinderer“, die ÖVP will Grün beseitigen, und der Daseinszweck der FPÖ ist ohnehin seit jeher der Protest. „Um der SPÖ auf die Finger zu klopfen“, ist eine Antwort, die man von FPÖ-Wählern oft hört.

In dieser Stimmungslage haben es – Nebenwirkung Nummer zwei – Wiener Sachthemen schwer (die Flüchtlingsfrage ist im Grund ja Bundeskompetenz). Emotion schlägt Inhalt. Wobei man sich als Journalist nicht beschweren darf. Wer hat als Erster „Themenverfehlung“ gerufen, als die Grünen lieber über Bildung als Flüchtlinge diskutieren wollten? Eben.

Heißt das jetzt, dass es – nüchtern betrachtet – für Wien egal ist, ob die FPÖ am Sonntag ganz vorn liegt? Das wieder nicht. In der Wiener SPÖ und bundespolitisch gäbe es heftige Konsequenzen (siehe Seite eins). Und auch für die Stadt als Kosmos wäre es eine Zäsur – trotz roter Regierungsfortsetzung. Denn seit Angela Merkel weiß man: Man soll die Macht von Botschaften nicht unterschätzen. Jetzt unterscheiden sich Rot und Blau lustigerweise in vielem, was die FPÖ der SPÖ ankreidet, gerade nicht: Auch Strache würde – per Notariatsakt versprochen – die Beamtenschaft hegen und pflegen, weitere Schulden aufnehmen und die Wiener, also zumindest „seine“ Wiener, sozial umsorgen.

Trotzdem wäre ein blauer Sieg ein heftiger Schwenk. Einerseits für das Image nach außen: Das aktuelle Wien-Bild mit Songcontest, Life Ball etc. passt nicht zu einer mehrheitlich blauen Stadt. Andererseits würde sich auch das Selbstbild ändern: Großstädte sind so etwas wie das Zukunftslabor der Gesellschaft. Hier wird en passant Zusammenleben getestet, Standards z. B. für Liberalität gesetzt. Wie könnte ein Mehrheitswechsel derlei nicht beeinflussen?

Insofern ist die Antwort auf die Frage, was man wählen soll – einen Bürgermeister oder eine Tendenz, ein Lebensgefühl – keine leichte. Sich klarzumachen, worüber man eigentlich abstimmen will, ist aber ein guter Anfang.

E-Mails an: ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2015)

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