Die Rückkehr der Kosovo-Krise

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Straßenschlachten und Tränengas im Parlament: Gewalttätige Proteste erschüttern Kosovos Hauptstadt Prishtina. Die radikale Opposition will die Schaffung des mit Belgrad vereinbarten Verbands der serbischen Gemeinden verhindern.

Belgrad/Prishtina. Selbst verstärkte Sicherheitskontrollen in Kosovos Parlament konnten dessen erneute Räumung nicht verhindern. Beißende Schwaden zogen am Donnerstag durch den Sitzungssaal, nachdem Oppositionsabgeordnete mehrere Tränengasbomben vor das Sprecherpult geworfen hatten. Bereits vergangene Woche hatte die radikale Partei Vetevendosj (Selbstbestimmung) das Parlament mit einer Tränengasattacke lahmgelegt: Viermal in Folge ist es der Opposition geglückt, eine Parlamentssitzung zu unterbrechen – oder zu verhindern.

Es ist nicht nur ein Grenzvertrag mit Montenegro, sondern vor allem die von der EU Ende August erzwungene Einigung zwischen Prishtina und Belgrad zur Gründung eines Verbands von Kosovos serbischen Kommunen, die die Opposition auf die Barrikaden treibt. Mit mehr Rechten für Kosovos serbische Minderheit hofft die EU, Belgrad zu mehr Beweglichkeit gegenüber dem mittlerweile von 110 anerkannten Staatenneuling zu bewegen. Umgekehrt will Prishtina mit dem Zugeständnis zur Gründung des serbischen Kommunalverbands den Wegfall der EU-Visapflicht und den Abschluss eines EU-Assoziierungsabkommens forcieren.

Für Serbien wiederum gelten Zugeständnisse beim Verhandlungspoker mit Pristina als Startbedingung für den Beitrittsmarathon: Nur bei vollständiger Umsetzung des bereits 2013 mit der Exprovinz besiegelten Nachbarschaftsabkommens kann Belgrad mit einer zügigen EU-Annäherung rechnen.

Doch die von der EU betriebene Annäherung der unwilligen Nachbarn stockt an mehreren Fronten. Steine krachten zu Wochenbeginn in Schaufensterscheiben, stundenlang zogen dicke Tränengasschwaden durch das Zentrum von Kosovos Hauptstadt Prishtina. „Gewalt ist als politisches Mittel nicht zu akzeptieren“, verkündete hernach der geschockte Premier, Isa Mustafa.

Doch diese Botschaft stößt bei seinem größten Widersacher auf taube Ohren. Die „Entschlossenheit“ der Vetevendosje-Anhänger werde die missliebige Schaffung des Verbands der serbischen Gemeinden und das Grenzabkommen mit Montenegro „verhindern“, rief deren vorübergehend verhafteter Chef Albin Kurti nach seiner Freilassung. „Nur wenn wir nicht aufhören, werden wir sie stoppen.“

Zwar machen die Serben mittlerweile keine fünf Prozent der Bevölkerung des Kosovo mehr aus. Doch Kosovos Opposition wittert hinter dem geplanten Minderheitenverband einen Staat im Staat – ähnlich der Republika Srpska in Bosnien. Sie sieht deshalb die Souveränität des seit 2008 offiziell unabhängigen Landes bedroht. Doch nicht nur in Pristina, auch in Belgrad regt sich neuer Unmut über die von der EU forcierte Annäherung der unwilligen Nachbarn. Serbien zeigt sich nicht nur verstimmt, dass die Unesco zu Wochenbeginn eine Aufnahme des Kosovo auf die Tagesordnung gesetzt hat. Verbittert ist Belgrad auch über den EU-Entwurf für Beitrittsgespräche: Beim Kapitel über die Normalisierung der Bande zur Exprovinz ist nicht mehr von Belgrad und Pristina, sondern von Serbien und Kosovo die Rede. Auch fünf EU-Mitglieder hätten Kosovo nicht anerkannt, ärgert sich Außenminister Ivica Dačić, der „statusneutrale“ Formulierungen fordert – und dunkel mit einem Referendum zu Serbiens Kosovo-Kurs drohte: „Jeder weiß, wie weit wir gehen können.“

„Hamlet-Dilemma“ für Serbien

Lautstarke Wortgefechte lieferte sich derweil Serbiens Premier, Aleksander Vučić, in dieser Woche bei seinem ergebnislosen Abstecher nach Brüssel mit Kosovos Außenminister, Hashim Thaçi. Doch sein Wutausbruch hat am Grundproblem des Belgrader Drahtseilsakts nichts geändert. Will Belgrad in die EU, muss sich Serbien zumindest faktisch mit einem eigenständigen Kosovo abfinden. Serbiens Regierung stehe vor dem „Hamlet-Dilemma“, entweder Kosovo anzuerkennen oder sich von seinen EU-Ambitionen zu verabschieden, orakelt das regierungsnahe Boulevard-Blatt „Alo!“: „Jedes dieser schwarzen Szenarien wäre katastrophal – für den Staat und das Volk.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2015)

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