Tanzend vom Schatten ins Licht

Staatsoper
Staatsoper(c) Michael Poehn
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Der neue Ballettabend bewegt sich aus der Düsternis des „Blaubart“ über die goldige Verliebtheit in „Fool's Paradise“ zum Farbenspiel „Four Seasons“. Überzeugend.

Ein Ballettabend, der dem Licht folgt. Das ist eine schöne Idee. In Stephan Toss' „Blaubarts Geheimnis“ werden die dunklen Schatten der Schuld und der wie eine Spinne darin lauernden Prägung durch die Mutter von einer Lichtgestalt überstrahlt: Judith kann ihren Geliebten zwar nicht ganz aus seiner emotionalen Schattenwelt hervorholen, aber sie ist mehr als nur ein Hoffnungsschimmer. Dann Christopher Wheeldons ätherisch romantisches „Fool's Paradise“: eine Komposition aus schlichter körperlicher Schönheit, Joby Talbots berauschendem „The Dying Swan“ (in der Orchesterfassung) und vom Schnürboden regnendem Goldkonfetti. Zuletzt macht Jerome Robbins spitzbübisch beschwingtes Ballett „The Four Seasons“ nicht nur Giuseppe Verdi alle Ehre, sondern auch dem Ensemble, das in dieser großen Besetzung seine Qualitäten ausspielen kann – wie das Orchester, geleitet vom erfahrenen Dirigenten Alexander Ingram, der es versteht, auf die Bedürfnisse und Qualitäten der Tänzer einzugehen.

Zärtlichkeit, im Keim erstickt

Dieser „Blaubart“ ist für die Wiener Tanzadorados kein Novum – er wurde bereits an der Volksoper gezeigt. Im Rahmen des Ballettabends wird nun ein Ausschnitt gegeben. Kirill Kourlaev ist wieder der unheimliche Psychopath, dessen zärtliche Anwandlungen meist schon im Keim durch das erdrückende Bild seiner Mutter (ausdrucksstark: Rebecca Horner) oder seiner toten Geliebten erstickt wird. Alice Firenze ist eine erstaunlich standhafte Gefährtin, die mit Blaubart hinter die Türen seiner Vergangenheit blickt, seine gefährlichen Launen erträgt und nicht gleich das Weite sucht. Ein schwieriger Stoff, zumal für den Auftakt eines Ballettabends, bei dem sich das Publikum offenbar mehr leicht zu konsumierende Tanzattraktionen erhofft – der Applaus jedenfalls war für die tänzerisch wie darstellerisch hervorragenden Leistungen deutlich zu unterkühlt.

Doch Ballettchef Manuel Legris hat sie nicht vergessen: Die Romantiker unter den Ballettfans kommen im zweiten und dritten Teil des Abends auf ihre Rechnung. Wheeldons „Fool's Paradise“ ist ein Paradebeispiel für Tanz als Ausdruck der totalen Anbetung. Hier werden die Ballerinen von den Herren ganz behutsam auf Händen getragen, man wendet sich hingebungsvoll einander zu, ist achtsam – wie man es sich eben so vorstellt im Paradies. Talbots Orchestermusik klingt dazu wie die Untermalung zu einem Rosamunde-Pilcher-Film, Shino Takizawa am Klavier unterstreicht mit einfühlsamem Spiel diese Note. Dass „Fool's Paradise“ einen schalen Beigeschmack hat, lassen einen die Damen (Olga Esina, Ioanna Avraam, Kiyoka Hashimoto und Gala Jovanovic) und Herren (Roman Lazik, Eno Peci, Davide Dato, Greig Matthews, Richard Szabó) glatt vergessen. Sie alle sind bedingungslos Liebende – und nicht die Narren, die Naiven, die ahnungslos nur das Beste vom anderen annehmen.

Zarter Frühling, kecker Herbst

Das Licht und die Farben bestimmen dann auch die Atmosphäre von Robbins „The Four Seasons“. Hier kommt der Winter in Form von kecken Schneeflöckchen dahergetrippelt. Der Frühling verbreitet einen zarten Hauch von Hippie-Charme, der Sommer wirkt elegisch elegant – und der Herbst weht dann ziemlich frech über die Bühne, allen voran Ausnahmetalent Davide Dato als quirliger, verschmitzter Faun. Nur ein Missgeschick mit dem Spitzenschuh, der plötzlich aufging, konnte Ionna Avraam den verdienten Applaus rauben: Sie ist eine atemberaubend exakte, wunderschöne Winterprinzessin, musste aber vorzeitig abgehen, um nicht zu stürzen. Maria Yakovleva wirkt als in Zartgrün gekleidetes Frühlingswesen wie eine schwerelose Elfe an der Seite des energiegeladenen Mihail Sosnovschi. Ketevan Papava und Robert Gabdullin sind ein elegantes Paar für die Interpretation des Sommers. Liudmila Konovalova verleiht dem Herbst eine würdige Note, Denys Cherevychko sorgt für die quirlige Energie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2015)

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