Der "Mauer-Öffner" der DDR ist tot

Günter Schabowski vor Beginn der historischen Pressekonferenz am Abend des 9. November 1989 in Ostberlin
Günter Schabowski vor Beginn der historischen Pressekonferenz am Abend des 9. November 1989 in OstberlinEPA
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Regierungssprecher Günter Schabowksi gab am 9. November 1989 eher beiläufig, verfrüht und mit legendärem Gestammel und Aktengeraschel die Grenzöffnung bekannt. Ein Ansturm folgte. Am Sonntag starb der 86-Jährige.

Er war einer der letzten Überlebenden aus der politischen Führung der DDR. Mit einem einzigen Satz von ihm, noch dazu einem eher beiläufig und nebenher gestammelten, fiel das sozialistische System der SED-Partei dort wie ein Kartenhaus zusammen. Nun ist auch er, Günter Schabowski, tot.

Der berühmte Satz fiel so en passant, manche Zuhörer dachten an einen Versprecher. Am Abend des kühlen 9. Novembers 1989 sorgte der damalige SED-Spitzenfunktionär, Journalist und Regierungssprecher Günter Schabowski (*1929 in Anklam, Mecklenburg-Vorpommern) damit für die (verfrühte) Öffnung der ostdeutschen Grenze. "Das tritt nach meiner Kenntnis... ist das sofort... unverzüglich", stotterte er auf der Pressekonferenz in Ostberlin auf die Fragen eines deutschen und zuvor eines italienischen Reporters zum Entwurf einer neuen Reiseverordnung - und wann selbige in Kraft treten werde.

Sie war erst Stunden zuvor von Politbüro und Zentralkomitee beschlossen worden und enthielt den "bombigen" Satz, dass künftig Privatreisen in den Westen problemlos erlaubt sein sollten - konkludent war damit auch die Rückreise erlaubt. Die Regelung hätte zwar erst am 10. November, am Tag danach, wirklich verkündet werden sollen, aber der damalige Staatschef Egon Krenz ließ Schabowski den Verordnungstext in etwas gekürzter Fassung - vor allem ohne den Sperrfristvermerk - mit dem Hinweis zukommen, dass er ihn unbedingt bekanntgeben müsse. Das sei nämlich "die Weltnachricht", so Krenz.

Rätselraten über das Informationsleck

Gegen 18 Uhr begann die Pressekonferenz (siehe Video ganz am Schluss) doch Schabowski hatte offenbar auf die Sache mit der Verordnung vergessen, denn erst, als ihn kurz vor 19 Uhr ein italienischer Journalist darauf ansprach, kramte er ihn hervor. Dieser Journalist, Riccardo Ehrman (*1929 in Florenz) sagte später, er habe von jemandem einen Tipp erhalten, Schabowski, der damals auch Mitglied des Politbüros war, nach der neuen Verordnung zu fragen.

Wer dieser Jemand war, ist bis heute nicht eindeutig geklärt, denn Ehrman will sich später nicht mehr an einen Namen erinnert haben. Aus einigen Details zu diesem Informanten, die der Italiener aber noch wusste, wollten manche und dann auch er selbst geschlossen haben, es habe sich um Günter Pötschke (1929-2006) gehandelt. Der war damals Mitglied des ZK der SED und Chef der amtlichen ostdeutschen Nachrichtenagentur ADN.

Die PK vom 9. November: Schabowski am Pult ist der Zweite von rechts, der italienische Journalist Riccardo Ehrman hockt links vor dem Pult am Bühnenrand.
Die PK vom 9. November: Schabowski am Pult ist der Zweite von rechts, der italienische Journalist Riccardo Ehrman hockt links vor dem Pult am Bühnenrand.Wikipedia/Bundesarchiv

Pötschke bestätigte diesen Informationsfluß aus dem Herz der Macht indes nie. Und Ehrman gab erst 2014 in einem Interview an, von Pötschke zwar angerufen, aber zu keiner Frage gedrängt worden zu sein: Der Deutsche habe ihn nur gefragt, ob er zum Pressegespräch kommen werde. Und so bleibt das Rätsel bestehen.

Doch wie dem auch sei: Es war der deutsche "Bild"-Reporter Peter Brinkmann (*1945), der, nachdem Ehrman das Thema Reiseverordnung also angeschnitten hatte, nachfragte: "Wann tritt das in Kraft?" Worauf Schabowskis historisches Durchblättern der Papiere und Gestammel folgte.

Die Meldung ging um die Welt

Um 19.04 Uhr gingen die ersten Meldungen über die Fernschreiber, um 19.17 brachte das ZDF Ausschnitte aus der Pressekonferenz. Der Strom an den DDR-Grenzübergängen zum Westen, der unmittelbar danach einsetzte, war nicht mehr aufzuhalten. Dass zur Ausreise eigentlich noch ein Antrag nötig gewesen wäre, wie es in der Verordnung stand, kümmerte niemanden.

Wie hatte es doch Schabowski vorgelesen: „Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (...) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen Paß- und Meldewesen der Volkspolizeikreisämter in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne daß dafür noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen. (...) Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. zu West-Berlin erfolgen."

Riccardo Ehrman lebt heute in Madrid.
Riccardo Ehrman lebt heute in Madrid.Crónica Siete
Peter Brinkmann, August 2015
Peter Brinkmann, August 2015Wikipedia/A. Savin

Und dann kam die berühmte Nachfrage Brinkmanns.

"Niemand konnte sich die Konsequenz der Maueröffnung vorstellen", sagte Schabowski später zu der Weltsensation, die er auslöste. Das frühere SED-Politbüromitglied bekannte nach der friedlichen Revolution immer wieder, er trauere der DDR nicht nach. Als erster Politiker aus der SED-Spitze hatte Schabowski Abgesandte der Bürgerbewegung "Neues Forum" empfangen und versucht, die Wende mitzugestalten. Doch viele nahmen ihm seine persönliche Wandlung nicht ab.

Er entsagte dem Sozialismus

Bei der großen Demonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989 wurde er ausgepfiffen. Für die SED-Nachfolgepartei PDS, die ihn 1990 ausschloss, fand Schabowski nur harte Worte. Er bekenne sich zu Mitverantwortung und moralischer Schuld, sagte der einstige Hardliner. "Die DDR ist an sich selbst zugrunde gegangen, weil sie ein untaugliches System darstellte."

Als ihm neben dem letzten DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz vor dem Berliner Landgericht der Prozess gemacht wurde, räumte er ein, nichts könne rechtfertigen, dass auch nur ein einziger Flüchtling, "der uns den Rücken kehren wollte, dafür mit dem Leben bezahlen musste". Damit ging er im Politbüro-Prozess auf Distanz zu Krenz. Er fand es "einfach peinlich", dass bei seinem einstigen Parteichef kritische Einsichten fehlten. Im Gegensatz zu Krenz räumte er auch eine Mitschuld dafür ein, dass Menschen an der innerdeutschen Grenze bei Fluchtversuchen erschossen wurden.

Das Berliner Landgericht verurteilte Schabowski 1997 wegen Totschlags zu drei Jahren Haft. Die Richter urteilten, dass auch Schabowski zu den Verantwortlichen des menschenverachtenden Grenzregimes zwischen Ost und West gehörte. Er akzeptierte das Urteil. Krenz bekam sechseinhalb Jahre und ging dagegen vor.

Juristisches Nachspiel

Doch der deutsche Bundesgerichtshof bestätigte 1999 die Urteile. Schabowski wurde 2000 begnadigt und nach weniger als einem Jahr aus dem offenen Vollzug aus dem Berliner Gefängnis Hakenfelde entlassen. Krenz, dessen Beschwerden sowohl vom Bundesverfassungsgericht als auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abgelehnt wurden, kam erst Dezember 2003 vorzeitig frei.

Schabowski 2009
Schabowski 2009AFP

Schabowksi, Sohn eines Installateurs, hatte eine steile SED-Karriere hinter sich. 1978 übernahm er die Leitung der Parteizeitung "Neues Deutschland". 1984 gelang dem Absolventen der Moskauer KP-Parteihochschule der Aufstieg ins SED-Politbüro, das höchste DDR-Gremium. 1985 wurde er Chef der Berliner SED-Bezirksleitung. Den Posten als Chefredakteur gab er auf. Kurz vor der Wende wurde er neben Krenz als Nachfolger des greisen Erich Honecker gehandelt.

Beruflich musste Schabowski nach Ende der DDR wieder unten anfangen. Er gründete 1992 mit einem westdeutschen Verleger in Hessen die "Heimat-Nachrichten" in Rotenburg an der Fulda, eine lokale Wochenzeitung, die 1999 wieder zusperrte. (dpa/wg)

>>> ZDF-Tagesschau vom 9. November 1989

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