Die mühevolle Erziehung des Professor Higgins

(c) Vienna's English Theatre
  • Drucken

Vienna's English Theatre. Philip Dart zeigt bei seiner Inszenierung von G. B. Shaws Klassiker „Pygmalion“ die Tugenden des britischen Theaters. Der vielschichtige, sprachkritische Text kommt voll Esprit zur Geltung.

Angeblich hat das Musical „My Fair Lady“ ein Happy End: Ein Blumenmädchen, Eliza Doolittle, die vom skurrilen Phonetiker Henry Higgins aus der Laune einer Wette heraus zu einer Dame gemacht wird, indem er ihr den Akzent der Unterschicht abgewöhnt und hohle Phrasen in der Aussprache der Oberschicht beibringt, kehrt am Ende zu diesem ignoranten Mann zurück. Ähnlich endet im antiken Vorbild, in Ovids „Metamorphosen“, ein Männertraum: Die vom Bildhauer Pygmalion geschaffene Statue Galatea wird zum Leben erweckt – von Aphrodite.

Das Stück von George Bernard Shaw verweigert sich der Harmonie. Der irische Dramatiker bezeichnet „Pygmalion“ zwar als „Romanze“, aber am Ende verlässt Eliza den selbstherrlichen Higgins, um den unbedarften jungen Verehrer Freddy zu heiraten. Zu spät erkennt der Professor, wen er von sich stieß. Shaw behauptet im Nachwort, dass dieser Schluss für die Emanzipation der jungen Frau unumgänglich sei. Er wendet sich gegen den romantischen Verschleiß, gegen die Massenware glücklicher Ausgänge.

Shaws Stück wurde übrigens 1913 im Burgtheater uraufgeführt. Die Premiere in London gab es wegen einer Verzögerung erst 1914. Derzeit kann man sich in Vienna's English Theatre wieder von den Stärken dieses Klassikers überzeugen. Philip Darts Inszenierung, die am Dienstag Premiere hatte, bringt den vielschichtigen Text zum Funkeln. Im Mittelpunkt steht hier die Sprache, andere Effekte sind auf der kleinen Bühne mit ihrer konventionellen Ausstattung (Anthony Lamble) reduziert. Durch winzige Umbauten wird aus einem Portal am Covent Garden ein Arbeitszimmer oder ein Salon. Zu Beginn der zwei Akte ein paar Takte „La donna è mobile“. Alles Übrige besorgen die Darsteller.

Moral muss man sich leisten können

Dem Regisseur, der häufig in Wien zu Gast ist, stehen versierte, großteils auch durch TV und Film bekannte britische Schauspieler zur Verfügung, die Nuancen von Cockney bis zum Queen's Englisch beherrschen. Das ist hier wesentlich. Viel stärker als im Musical wird Shaws Sprachkritik auch zu einer der Gesellschaft. Er entblößt die Hierarchien. Die soziale Stellung in England sei allein vom Akzent abhängig, behauptet Higgins. Elizabeth Twells beginnt als verwahrloste, laute Eliza im breitesten Dialekt und endet als affektierte Lady. John Vernon als ihr Vater Alfred gibt ein proletarische Gustostück, das den feinen Herren rhetorisch überlegen ist. Nach seiner Moral gefragt, kontert Doolittle: „Can't afford them, Governor. Neither could you if you was as poor as me.“ Higgins (Martyn Stanbridge) und sein neu gewonnener Freund, der Linguist Colonel Pickering (Robert Whelan), betonen die Spleens aristokratischer Sonderlinge. Die übrige feine Gesellschaft stellt sich in ihrer starren Konvention selbst ganz direkt bloß, ihr Personal verstärkt deren Schwächen mit diskreten Blicken.

Allein der dominanten, kritischen Mutter von Higgins (Diana Katis) gelingt es, ein wenig über den Dingen zu stehen. Die meisten aber sind Gefangene des Systems. Am stärksten bekommt das Alfred Doolittle zu spüren, der sich, reich geworden, in die vertraute Armut zurücksehnt. Das ist sarkastisch. Seine Tochter macht es besser. Eliza hat mühevoll gelernt, nicht nur sprachlich, sondern auch menschlich, durch das negative Beispiel ihres Lehrers. Sie agiert am Ende souverän.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.