Der Fluch des niedrigen Ölpreises

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Aufgrund des billigen Öls könne sich die Welt beizeiten in der Abhängigkeit vom Nahen Osten wiederfinden, so die IEA in ihrem neuen Bericht. Wahrscheinlich kommt es nicht ganz so dick.

Wien. Langfristig niedrige Ölpreise mögen für den privaten oder industriellen Verbraucher angenehm sein. In den Augen der Experten aber bergen sie gleich eine Reihe von Risken, die früher oder später auch zu einem bösen Erwachen führen können. Entsprechend warnt die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrem neuen Jahresbericht vor den langfristig negativen Folgen für die Energiesicherheit.

Konkret bestehe das Risiko, dass nötige Investitionen in die Ölförderung unterblieben, so die IEA. Das folgende geringere Angebot könnte dann längerfristig einen deutlichen Preisanstieg auslösen.

Zum Hintergrund: Der Ölpreis war Mitte 2014 um die Hälfte gefallen und bewegt sich im Falle der für Europa relevanten Nordseesorte Brent nun um die 50 Dollar (46 Euro) pro Barrel (159 Liter). Ursache ist vor allem das stark ausgeweitete Angebot der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) mit Saudiarabien an der Spitze, die damit die Konkurrenz durch das per Fracking gewonnene Öl in den USA bekämpfen wollen.

Naher Osten als Gewinner

Längst zeigen sich die Folgen. Die Ölkonzerne haben tausende Jobs gestrichen und um die 200 Mrd. Dollar an Investitionen in Megaprojekte weltweit zurückgehalten. Nach Schätzungen der IEA sind die Investitionen heuer bereits um 20 Prozent gefallen. Dramatisch aber sei, dass der Investitionsrückgang auch 2016 noch anhalten werde, nachdem es seit 25 Jahren keinen Investitionsrückgang zwei Jahre am Stück gegeben habe.

Als mindestens so großes Risiko wie die ausbleibenden Investitionen macht die IEA die potenziell steigende Abhängigkeit der Welt von Ölproduzenten aus dem Nahen Osten aus. Nirgendwo sonst nämlich könne man derart günstig fördern. Die Abhängigkeit von diesen Ländern, von denen viele zur Opec gehören, könnte letztlich so stark werden wie zuletzt in den 1970er-Jahren, meint die IEA. Damals wurde die Welt von mehreren Ölkrisen mit stark steigenden Rohölpreisen heimgesucht. Ein entscheidender Grund war seinerzeit die große Marktmacht des Opec-Kartells, die sich seither aber spürbar verringert hat. Ein anhaltend niedriger Preis von 50 Dollar je Barrel könnte das Rad gewissermaßen zurückdrehen und den Ländern des Nahen Ostens eine global marktbeherrschende Stellung bescheren, so die IEA. Teurere Produzenten wie Kanada oder die USA würden unter die Räder kommen.

Falls sich der Trend zu billigem Öl fortsetze, so könne auch – und das ist das dritte Risiko – das Umsteigen auf erneuerbare Energien hinausgezögert werden. Hier müsse der Staat mit gezielten Maßnahmen nachhelfen, sagte IEA-Direktor Fatih Birol mit Blick auf den bevorstehenden Klimagipfel in Paris.

Vorsichtiger Optimismus

Auch wenn die IEA die Möglichkeit eines langfristig niedrigen Ölpreises, der bis 2020 auf 50 Dollar je Barrel bleiben und erst dann bis 2040 auf 85 Dollar steigen würde, nicht als Hauptszenario führt, so kann sie eine solche aufgrund der schwachen Weltkonjunktur und der Flutung der Märkte mit saudischem Öl doch nicht ausschließen.

Als Hauptszenario gilt dennoch, dass die Nachfrage bis 2020 pro Jahr um eine Tagesförderung von 900.000 Barrel und dann langsamer auf letztlich 103,5 Mio. Barrel im Jahr 2040 steigt, womit man um 13 Mio. Barrel über dem Niveau vom Vorjahr liegen würde. Der Ölpreis würde sich in diesem Fall schneller erholen – und zwar auf 80 Dollar im Jahr 2020. Der wichtigste Treiber der Nachfrage sei dabei Indien. In China werde der Energieverbrauch laut IEA im Jahr 2040 trotz rasant steigender Energieeffizienz das Doppelte jenes der USA ausmachen. (est)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2015)

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