Wowereit: „Wir können uns nicht einmauern“

Berlin mayor Wowereit addresses a news conference in Berlin
Berlin mayor Wowereit addresses a news conference in Berlin(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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Klaus Wowereit über seine Zeit als Berliner Bürgermeister, das Leben nach der Politik, über die Flüchtlingskrise und die Herausforderung für offene Gesellschaften, Merkels Mantra, Berlins Wandel, das Flughafenfiasko und sein Outing.

Die Presse: Es ist jetzt fast ein Jahr her, dass Sie Ihr Amt niedergelegt haben. Sie haben damals Ihre Angst ausgedrückt, in ein Loch zu fallen. Haben Sie das dann so verspürt?

Klaus Wowereit: Gott sei Dank nicht. Man weiß ja nicht, was auf einen zukommt. Das Loch hat sich nicht aufgetan. Es gibt zwar genügend zu tun, aber nicht so viel, dass man in den Stress zurückfällt.

Wie ist das Leben ohne die Bürde der Verantwortung, aber auch ohne im Rampenlicht zu stehen?

Man muss erst mit einem Kapitel seines Lebens abschließen. Regierender Bürgermeister – das war eine schöne Zeit, aus meiner Sicht auch eine erfolgreiche Zeit. Ich bin da sehr zufrieden und mit mir im Reinen. Man muss wissen, dass man bei Veranstaltungen nicht mehr automatisch im Mittelpunkt steht, sondern im zweiten Glied. Das hat den Vorteil, dass man nicht jede Sekunde seines Lebens unter öffentlicher Kontrolle steht.

Sie haben mehr als 13 Jahre regiert. Ist das zu lang?

Man braucht, um gestalten zu können, gerade in großen Metropolen, einen Zeitraum von zehn Jahren, um etwas durchsetzen zu können.

Die Flüchtlingskrise ist die größte Herausforderung seit der Wiedervereinigung Deutschlands. Was halten Sie von Angela Merkels Mantra „Wir schaffen das“?

Die organisatorische Aufgabe, wie wir die Flüchtlinge unterbringen, ist zu bewältigen. Die weitere Frage ist: Wie kann der Integrationsprozess laufen? In Berlin wissen wir, dass das ein sehr schwieriger und langwieriger Prozess ist. Das ist eine Gratwanderung. Viele Menschen haben Befürchtungen, wie sich ihr Leben, wie sich unsere kulturelle Situation verändern wird. Wir leben in einer offenen Gesellschaft, und wir wollen diese offene Gesellschaft haben. Wir können uns nicht einmauern. Wir haben Herausforderungen zu bewältigen, die eine reiche Industrienation wie Deutschland schaffen kann. Aber man muss auch den Willen und den Zusammenhalt der Demokraten haben.

Waren Sie von der Einladung der Kanzlerin, die Tore zu öffnen, überrascht?

Angela Merkel ist eine Politikerin, die sehr vorsichtig ist. Man hat oft den Eindruck, sie entscheidet sich erst, wenn relativ klar ist, in welche Richtung es geht. Hier ist sie nach vorn gegangen. Über ihre Motive wird viel spekuliert. Vielleicht war es in der Geste missverständlich. Aber sie hat etwas zum Ausdruck gebracht, was wir uns in Europa von anderen Regierungschefs auch gewünscht hätten. Nämlich, dass man die Humanität in den Mittelpunkt der Politik stellt.

Nun kann Deutschland nicht Millionen an Flüchtlingen aufnehmen. Wie soll man einen geregelten Zustand wiederherstellen?

Nach der deutschen Verfassung ist das Asylrecht eines der höchsten Rechte. Aufgrund unserer eigenen Erfahrung aus der unsäglichen nationalsozialistischen Zeit gibt es in Deutschland eine besondere Verantwortung, und diese nehmen wir auch wahr. Trotzdem müssen wir alles tun, die Massenbewegung zu stoppen und die Ursachen dafür zu beseitigen. Deshalb muss endlich dafür gesorgt werden, dass der Krieg in Syrien aufhört und die Menschen eine Lebensgrundlage erhalten. Nur mit dem vermeintlichen Schließen von Grenzen wird man diese Flüchtlingsströme nicht stoppen können.

Ist Berlin, ist Deutschland mittlerweile überfordert?

Das sind riesige Herausforderungen, auch für eine Millionenstadt wie Berlin. Es hängt wesentlich davon ab, ob das temporäre Ereignisse sind. Wenn jedes Jahr so viele Flüchtlinge kommen, kann die Stimmung in einer Gesellschaft wie der Bundesrepublik, die im Großen und Ganzen erfreulicherweise sehr freundlich ist und große Hilfsbereitschaft zeigt, kippen.

Hat sich die innereuropäische Solidarität von 1989 aufgelöst?

Ich bin sehr enttäuscht von dem Verhalten von etlichen europäischen Staaten, die sich aus einer Solidarität entfernt haben oder sie gar nicht ansatzweise gezeigt haben. Europa ist ein Gebilde, in dem man sich gegenseitig Hilfestellung leisten muss. Europa steht vor einer harten Belastungsprobe.

Fürchten Sie am Horizont einen Zerfall Europas?

Das wäre fatal. Europa hat seine Sicherheit, seinen Wohlstand auch deshalb, weil wir uns zusammengeschlossen haben.

Wowereit und Berlin: Das war eine Kombination, die lang funktioniert hat. Ist die Stadt 25 Jahre nach der Wiedervereinigung zusammengewachsen?

Ja. Das ist faszinierend, bei allen Unterschieden, die es auch heute noch gibt. Man sieht es deutlich: Diese Stadt hat sich verändert.

Was hat sich am stärksten verändert?

Die Stadt ist offener geworden, sehr jung und internationaler. Es hat sich ein Strukturwandel vollzogen. Berlin ist nicht mehr in einer Subventionsmentalität verhaftet, es ist ein wunderbarer Platz für Start-ups. Verantwortlich dafür, dass sich Menschen hier wohlfühlen, ist eine innere Liberalität.

Trifft Ihr damaliger Spruch „Arm, aber sexy“ noch zu?

Wir sind nicht mehr ganz so arm. Die finanzielle Situation ist deutlich besser geworden, die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen. Wir haben viel mehr neue Jobs. Ich bin trotzdem der festen Überzeugung, dass wir noch sexy sind.

Einige Ihrer Sprüche sind in den Zitatenschatz eingegangen, am legendärsten wohl „Ich bin schwul – und das ist auch gut so“. Haben Sie gedacht, damit für so viel Furore zu sorgen?

Nein; das war kein Kalkül. Das kam aus dem Bauch heraus. Das hat vielen Menschen Mut gemacht, das ist das Wichtige daran. Und deshalb kann man auch ein bisschen stolz darauf sein.

Auf der anderen Seite wird das Debakel um den Flughafen Berlin-Brandenburg auch mit Ihrem Namen verbunden bleiben.

Jede größere Stadt hat Erfahrungen mit öffentlichen Bauten und damit, was dabei alles schiefgehen kann. Der Wiener Flughafen soll ja auch ein paar Probleme gemacht haben. Es gibt also keinen Grund für Häme. Ich hoffe, dass der Flughafen endlich an den Start geht. Er ist ja fast fertig.

Inzwischen gehen Sie mit der früheren TV-Moderatorin Sabine Christiansen auf Kreuzfahrt, haben selbst die Talkshow „Bei Klaus zu Haus“. Haben Sie ein neues Betätigungsfeld gefunden?

Nein, so würde ich das nicht nennen. Aber es macht Spaß, sich mit Menschen auseinanderzusetzen.

Kommt das Ihrer Eigenschaft als Showman entgegen?

Showman muss man in der Politik auch sein. Interesse an Menschen zu haben, das ist das Entscheidende. Sonst funktioniert das nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2015)

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