Ukraine: Der lange Weg aus der Intensivstation

UKRAINE CRISIS
UKRAINE CRISIS APA/EPA/SERGEY DOLZHENKO
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Das dritte Quartal deutete bereits Hoffnung für die Ukraine an. Nun wird ihre Wirtschaft durch neue politische Eskalationen erschüttert. Am Desaster ist nicht nur Moskau schuld.

Wien. Wie eine Warm-Kalt-Dusche kommen die Nachrichten aus der Ukraine im Moment daher. Erst vor einer Woche überraschte der neben Griechenland zweite große Krisenstaat Europas mit den Zahlen für das dritte Quartal, die ein Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent gegenüber dem zweiten Quartal zeigen und damit das Ende der katastrophalen und seit dem Vorjahr anhaltenden tiefen Rezession andeuteten. Schon eskaliert die Situation rund um die Blockade des Waren- und Stromverkehrs Richtung Krim. Schon stoppen die Russen die Gaslieferungen. Schon liefert die separatistische Ostukraine keine Kohle mehr in den Rest des Landes. „Das alles wird die Krise zusätzlich verschärfen“, prognostiziert Peter Havlik vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsstudien.

Zumindest auf dem Gassektor allein zeichnet sich vorerst kein Problem ab. Kiew will selbst derzeit nicht in Russland einkaufen – und zwar, weil es den weiteren Preisverfall bis Anfang 2016 abwartet. Die Gasspeicher sind mit 16,5 Mrd. Kubikmetern besser gefüllt als im Vorjahr. Vor allem aber werde im Land weniger gebraucht als früher, weil die energieintensive Industrie im Osten auf Sparflamme laufe, wie Michael Gontschar, Energieexperte des Kiewer Forschungsinstituts Razumkov Center, im Gespräch erklärt: „Und von den gut 17 Mrd. Kubikmetern, die wir importieren, kommt heuer erstmals der Großteil aus Europa und nicht aus Russland.“

Mehr Exporte in die EU

Es ist einer der Schritte zur Abnabelung von Moskau. Ein anderer passiert beim gesamten Handelsaustausch. Zuerst hatte die Ukraine ein Exportverbot etwa für gewisse Maschinen erlassen, dann hat Moskau, vormals Haupthandelspartner, den Import beschränkt. Moskau befürchtet, dass die Ukraine beim bevorstehenden Inkrafttreten des wirtschaftlichen Teils des EU-Assoziierungsabkommens zum Einfallstor für europäische Waren wird. In den ersten neun Monaten 2015 ging das bilaterale Handelsvolumen zwischen Russland und der Ukraine folglich um die Hälfte gegenüber 2014 zurück. Demgegenüber gehen inzwischen 35 Prozent der Exporte in die EU, während es vor drei Jahren noch 25 Prozent waren.

Der aktuell heiklere Punkt sind die drei Mrd. Dollar, die der ukrainische Staat, dessen Gesamtschulden durch die Währungsabwertung auf 90 Prozent des BIPs hochgeschossen sind, Russland schuldet und die im Dezember fällig werden. Im Unterschied zu den anderen internationalen Gläubigern nämlich stimmt Russland keinem Schuldenschnitt zu, hat aber angeboten, die Schulden auf drei Jahre zu strecken, sofern der Internationale Währungsfonds (IWF) Rückzahlungsgarantien für die Ukraine abgibt. Die Möglichkeit eines Zahlungsausfalls ist also nicht gebannt. Dabei ist das Land im Kampf gegen die Schuldenkrise am 12. November einen wichtigen Schritt vorangekommen, indem es eine Umschuldung im Volumen von 15 Mrd. Dollar abgeschlossen hat. Die Ratingagentur Moody's hat das Länderrating kurz später um eine Stufe auf Caa3 von Ca angehoben. Das ändert freilich nichts daran, dass die Papiere damit im Junkbond-Bereich bleiben.

Zu wenige Reformen

Die Umschuldung sei jedenfalls „eine wichtige Voraussetzung, um wieder Wachstum zu erreichen“, sagte Finanzministerin Natalia Jaresko. Dennoch: Trotz Fortschritten im dritten Quartal wird das BIP im Gesamtjahr um etwa elf Prozent schrumpfen, nachdem es schon im Vorjahr um sieben Prozent zurückgegangen war. Zu Buche schlägt heuer auch, dass man erst jetzt in vollem Ausmaß die Zustände in der Ostukraine mit einberechnet, wie Vladimir Dubrovskiy, Chefökonom des Kiewer Wirtschaftsforschungsinstituts CASE, erklärt: „Man kann nicht alles auf den Osten schieben. Bei schnelleren Reformen hätte man vieles kompensieren können.“

In der Tat steht die neue Regierungsmannschaft vor einigen Nagelproben, wie Dubrovskiy sagt: Beim Kampf gegen das Oligarchentum gebe es keine sichtbaren Fortschritte, Budgetkürzungen seien halbherzig, und die Steuerreform lasse bislang ausreichend Raum für Korruption.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2015)

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